Die Psyche eines Menschen beeinflusst seine Bewegung. Oder um es ein wenig differenzierter zu beschreiben, die emotionale Entwicklung, der seelische Zustand und die Einflüsse der sozialen und materiellen Umwelt haben Auswirkungen auf die Motorik und Wahrnehmung eines Menschen. Dieser Zusammenhang von persönlichen, psychischen Komponenten und motorischen Fähigkeiten wird als Psychomotorik bezeichnet.
Psychomotorik Definition und Inhalte
Die Theorie der Psychomotorik hat ihren Weg über den medizinischen Fachbegriff hinaus in die pädagogische Praxis gefunden und findet heute als Konzept in der Bewegungspädagogik und Bewegungstherapie seine Anwendung. Die theoretischen Grundlagen und Annahmen über die Entstehung von beeinträchtigter Bewegung und Verhaltensauffälligkeiten differenzieren allerdings in den Konzepten der Psychomotorik. Institutionen und Ausbildungsbereiche der Psychomotorik bieten hier verschiedene Ansätze, vor allem bestimmt durch den unterschiedlichen Aufbau auf Theorien aus der Psychologie, Soziologie, Pädagogik und Medizin.
Die von Ernst Kiphard Mitte der 50er Jahre in Deutschland gegründete Begrifflichkeit der Psychomotorik fußt auf dem Aufsatz „Psychomotorische Therapie“ von Charlotte Pfeffer, welche als Rhythmikerin die Bewegung als Fundament für Erziehung erkannte und sich gegen die herkömmliche Sichtweise über die Motorik als einzig funktionalen und mechanischen Ablauf wehrte. Kiphard sah durch seine eigene Arbeit mit Kindern, welche ein aggressives und auffälliges Sozialverhalten an den Tag legten, dass sportliche Aktivitäten die Entwicklung positiv förderten.
Auffälligkeiten im motorischen und sensomotorischen Bereich (die Fähigkeit Bewegungen über Sinnesrückmeldungen zu kontrollieren) konnte er eine leichte Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zugrunde legen. Durch die unzureichende Entwicklung der Motorik und Wahrnehmung bildeten diese Kinder Störungen wie Hyperaktivität, Unruhe und Angst aus und konnten sich im Resultat auch weniger motivieren, konzentrieren und waren weniger ausdauernd als andere Kinder im gleichen Alter. Als Konsequenz sollten diese Kinder nach Kiphard unter Einsatz psychomotorischer Übungen gefördert werden.
Psychomotorische Leistungs- und Verhaltensauffälligkeiten:
- Entwicklung der Motorik bleibt hinter Gleichaltrigen zurück
- Bewegungsbeeinträchtigung, ungeschickte und unsichere Bewegungen
- motorische Handlungsabläufe sind unkoordiniert
- Konzentrationsschwierigkeiten, Aufmerksamkeitsstörungen
- Hyperaktivität, Kind lässt sich schnell ablenken
einhergehend mit sekundären Störungen:
- ängstliches und gehemmtes Verhalten, kaum Selbstbewusstsein
- Vermeidung von Bewegung und körperlicher Leistung
- Aggressivität, Stimmungsschwankungen
- fehlende Motivation, sozialer Rückzug
- Lernschwierigkeiten, Sprachauffälligkeiten
Der kindzentrierte Ansatz
Durch die ab den 80er Jahren immer größer werdende Kritik an der psychomotorischen Übungsbehandlung nach Kiphard wurde sein Konzept weiterentwickelt. Dabei sollte der Weg weg von einem medizinischen und zu sehr auf Defizite ausgelegten Konzept hin zu einem das Kind in den Mittelpunkt nehmenden Ansatz gefunden werden. Der kindzentrierte Ansatz nach Renate Zimmer baut dabei auf die Persönlichkeitstheorie von Carl Rogers auf. Kinder sollen hierbei selbständig Möglichkeiten entdecken, um ihre Probleme und Schwierigkeiten im emotionalen und motorischen Bereich anzugehen. Dazu wird ihnen ein sozialer und bewegungsorientierter Erfahrungsraum an die Hand gegeben, in dem sie sich probieren können. Das Ziel der Psychomotorik ist dabei vordergründig, die Kinder durch die in einem Rahmen frei zugängliche Sozialerfahrung und Bewegung in ihrem Selbst und als Persönlichkeit zu stärken.
Der kompetenzorientierte Ansatz
Die Annahme einer Kompensation als Ergebnis der motorischen Defizite steht hinter dem kompetenzorientierten Ansatz nach Friedhelm Schilling. Diesem liegt zugrunde, das Kinder mit Defiziten in ihrer Bewegung psychische Probleme entwickeln und die fehlenden Fähigkeiten im motorischen Bereich mit Verhaltensauffälligkeiten kompensieren. Der kompetenzorientierte Ansatz soll den Kindern helfen, ihre eingeschränkte Bewegungskompetenz wieder aufzubauen. Diesem Ansatz nach Schilling wird allerdings wie der Übungsbehandlung nach Kiphard ein zu sehr defizitorientiertes Konzept vorgeworfen. Infolgedessen wurden weitere Variationen des psychomotorischen Konzeptes entwickelt, etwa der verstehende Ansatz nach Jürgen Seewald mit dem Schwerpunkt auf die Psychoanalyse oder die systemische Psychomotorik von Rolf Balgo und Reinhardt Voss, welche die zwischenmenschlichen Beziehungen und nicht die seelischen und motorischen Verhaltensauffälligkeiten zum Mittelpunkt machen.
Motologie, Mototherapie und Motopädagogik
Eng verknüpft und auf Grundlage der Psychomotorik haben sich dabei die Handlungsfelder der Motologie, Mototherapie und Motopädagogik herausgebildet. Das Lehrgebiet der Motologie ist eine neue Wissenschaft und lehrt den Zusammenhang zwischen Motorik und Psyche. Bewegung wird dabei als eine Einheit aus Wahrnehmung, Erleben, Denken und Handeln gesehen. Als eine ganzheitliche Therapie kommt die Mototherapie zum Einsatz. Sie vereint die Ansätze der Psychomotorik zu einem therapeutischen Verfahren, mit welchem die Kinder individuell gefördert werden. Anwendung findet die Mototherapie häufig zur Diagnose ADHS, aber auch bei der Arbeit mit alten Menschen oder Personen mit Behinderung. Motoherapie und Motopädagogik werden unter dem Dach der Motopädie zusammengefasst. Die praktische Arbeit im Bereich Motopädie kann dabei mit Schwerpunkt auf die präventive Unterstützung oder rehabilitierende Maßnahme ausgerichtet sein.
Psychomotorik Ziele und Übungen
In den praktischen Übungen zur Psychomotorik sollen im Gegensatz zum Sport oder Sportunterricht keine vorgegebenen Bewegungsabläufe abgerufen werden, sondern ein selbsttätiges Handeln erwirkt werden. Die Wahrnehmung der Sinne und das eigenständige Erleben der Bewegung sollen in den Übungseinheiten im Vordergrund stehen.
Ziele der Psychomotorik:
- die Ich-Kompetenz durch Körperwahrnehmung stärken
- die Sozialkompetenz durch gruppendynamische Prozesse fördern
- durch Sachkompetenz die materielle Umwelt erlebbar machen
- ein positiven und stabiles Selbstkonzept schaffen
speziell gefördert werden durch Psychomotorik-Übungen:
- Motorik, Grob- und Feinmotorik
- Gleichgewicht und Balanceverhalten
- Wahrnehmung (Sinne)
- Konzentration und Ausdauer
- Kreativität und Fantasie
- soziales Verhalten (Mitspieler)
Psychomotorik im Kindergarten ?
Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsstörungen lassen sich frühzeitig erkennen, daher sollte die Psychomotorik bereits im Kindergarten eine Rolle spielen. Am besten werden die praktischen Übungen in nicht zu großen Gruppen durchgeführt, als Spielform eignet sich das Rollenspiel. Der Pädagoge kann dabei das Thema steuern, einzelne Kinder gezielt ansprechen oder im freien Spiel das Sozialverhalten beobachten. Die Wahrnehmung lässt sich durch den Einsatz von Montessori Sinnesmaterial fördern und trägt im Umgang mit verschiedenen Materialien zur Sachkompetenz bei. Kinder lernen dazu auch Größe und Gewicht einzuordnen, welches motorische Fähigkeiten in Erkundung der Umwelt sichert und die Auge-Hand-Koordination fördert.
Quellen:
- Silke Schönrade & Günter Pütz, Die Abenteuer der kleinen Hexe: Bewegung und Wahrnehmung beobachten, verstehen, beurteilen, fördern, Verlag Modernes Lernen, 2013
- Wikipedia Psychomotorik, https://de.wikipedia.org/wiki/Psychomotorik
- Verein für Mototherapie und Psychomotorische Entwicklungsförderung e.V.
- Aktionskreis Psychomotorik e.V.
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