ADHS – Was ist das? AD(H)S steht für Aufmerksamkeits-Defizit-(Hyperaktivitäts-)Syndrom. Etwa 5% aller Schüler in unseren Schulen sind von diesem Syndrom betroffen. In der Mehrzahl sind es Jungen. Man unterscheidet 2 Subtypen: ADHS mit Hyperaktivität, den sogenannten „Zappelphilipp“ und ADS ohne Hyperaktivität, den „Träumer“.
Kinder mit AD(H)S sind sehr sensibel. Sie merken schnell, wie ihre Lehrer zu ihnen stehen. Zwei Aspekte sind entscheidend: einerseits müssen sie spüren, dass der Lehrer sie mag und andererseits müssen sie erleben, dass er ihnen gewachsen ist. Eine liebevolle Sturheit ist die Basis für den guten Umgang mit ihnen.
Eine Geschichte aus dem Schulalltag:
Es ist 7.30 Uhr. Beim Betreten des Schulgeländes stürmt mir ein Wirbelwind aus Klasse 3 entgegen. Freudestrahlend grüßt er und noch ehe ich richtig antworten kann, ist er auch schon wieder weg. Tobias ist einer jener energiegeladenen Jungen mit viel Temperament, Herz und Gefühl. Ich betrete das Schulgebäude. Da kommt er auch schon hinterher und fragt, ob er beim Kopieren helfen darf. Natürlich darf er. Wenn ein Schultag mit Tobias mit einer persönlichen Begegnung vor dem Unterricht beginnt, dann geht es nachher im Klassenzimmer leichter. Das ist meine Erfahrung mit diesem Jungen. Tobias braucht es auf besondere Weise, dass man ihn bemerkt, wahrnimmt und helfen lässt.
Später im Sitzkreis hat Tobias seinen Stuhl direkt neben mir. So ist es immer. Wenn er anfängt zu zappeln oder Mitschüler zu triezen, hilft es die Hand auf seinen Arm oder Rücken zu legen und er wird wieder etwas ruhiger. Die anderen Schüler wissen, dass Tobias diese „Sonderbehandlung“ braucht, damit er sich konzentrieren kann. Wenn er sich meldet, weiß ich, dass ich ihn nicht all zu lange warten lassen darf, bis er dran kommt, da er sonst frustriert oder beleidigt abhängt und sich mit anderen Dingen beschäftigt. Tobias hat seinen Platz im Klassenzimmer ziemlich weit vorne, damit ich ihn ständig im Blick habe. Es gibt so vieles, was ihn ablenkt und er braucht es, dass seine Aufmerksamkeit immer wieder auf den Unterricht zurück gelenkt wird. Später beim Arbeiten im Heft gehe ich oft bei ihm vorbei, ermutige ihn zum Weiterarbeiten, anerkenne, was er bereits gemacht hat, oder zeige ihm ohne Worte wo er weiter arbeiten soll.
Es ist nicht einfach im täglichen Umgang mit Tobias. Damit er nicht „ausbricht“ und massiv den Unterricht stört, braucht er übermäßig viel Aufmerksamkeit und klare eindeutige Leitung. Dann kann auch er eine Zeit lang konzentriert arbeiten. Hat Tobias aber für ein Thema „Feuer gefangen“ oder werden seine Interessen und Vorlieben durch den Unterricht berührt, arbeitet er sehr konstruktiv mit, konzentriert sich ausgesprochen gut und über längere Zeit.
Konflikte hat Tobias viele. Man hat den Eindruck er ziehe sie wie ein Magnet an. Kaum hat die Pause begonnen, rennt er rum, triezt seine Mitschüler, rempelt sie an, schreit, wenn sich seine Mitschüler beschweren und spart dabei nicht mit groben Ausdrücken. Die anderen tun sich schwer mit ihm und seiner unkontrollierten, launischen Art. Viele gehen ihm aus dem Weg. Manche Schüler provozieren ihn auch gerne, um ihn zum „Ausrasten“ zu bringen.
Tobias weiß, dass er sich anders benehmen sollte und er möchte es auch. Aber er bekommt es einfach nicht hin. Immer wieder gehen mit ihm seine Emotionen durch. Weil bei ihm so viel schief geht, braucht er das Gefühl, dass man ihn nicht aufgibt und abstempelt, sondern dass er jeden Tag eine neue Chance bekommt. Dann erlebt auch er immer wieder gute Tage in der Schule.
Hintergründe zu AD(H)S
Tobias´ Verhalten hat einen Namen. Er ist eines von vielen Kindern mit AD(H)S. Die Ursache für das auffällige Verhalten dieser Kinder ist eine genetisch bedingten Störung im Gehirn. Dadurch können sie ihre Emotionen schlecht kontrollieren und auch nicht angemessen reagierten. Daneben herrscht in ihrem Kopf gewissermaßen „ständig Sturm“, weil alle Reize ihrer Umwelt ungefiltert auf sie einströmen und Unwichtiges nicht ausgefiltert werden kann.
Umgang mit ADHS im Schulalltag
Die Lehrer-Schüler Beziehung
Zunächst ist es für jeden Lehrer wichtig, sich die Besonderheit und die Problematik dieser Kinder bewusst zu machen und sie grundsätzlich so akzeptieren wie sie sind.
Kinder mit AD(H)S sind sehr sensibel. Sie merken schnell, wie ihre Lehrer zu ihnen stehen. Zwei Aspekte sind entscheidend: einerseits müssen sie spüren, dass der Lehrer sie mag und andererseits müssen sie erleben, dass er ihnen gewachsen ist. Eine liebevolle Sturheit ist die Basis für den guten Umgang mit ihnen.
Der Unterricht
Um die Schulstunden zu bewältigen, brauchen Kinder mit ADHS einen klar strukturierten Unterricht und die direkte Aufmerksamkeitsleitung durch den Lehrer.
Klare Regeln (z.B. Es redet nur, wer sich gemeldet hat und aufgerufen wurde), die konsequent eingehalten werden, sind ebenso unerlässlich wie kurze, klare, eindeutige Arbeitsanweisungen.
Kinder mit ADHS sind besonders auf eine gute Lernatmosphäre angewiesen, die geprägt ist von Fairness, Gerechtigkeit, Geduld und Wertschätzung. Lob „in homöopathischen Dosen“ auch für kleine Erfolge oder für ihre Anstrengung tun besonders gut und motivieren.
Der Arbeitsplatz sollte möglichst reizarm gestaltet sein d.h. es ist nur das auf dem Tisch, was für den jeweiligen Unterricht gebraucht wird. Wenn es möglich ist, hilft ein Einzeltisch, der frontal zum Lehrer steht, um Ablenkungen durch den Sitznachbarn und Mitschüler zu verringern.
Bei Aufgaben, die in Einzelarbeit erledigt werden z.B. Übungsaufgaben ist es gut, wenn der Lehrer Hilfen zum Anfangen gibt. Hier ist es wichtig eindeutig, klar und direktiv zu sein.
Die Hausaufgaben sind häufig ein besonderes Kampffeld: Diese sollten unbedingt während der Stunde in Ruhe aufgeschrieben werden und nicht in der Aufbruchstimmung am Ende. Was aufgeschrieben wird, wird eher nicht vergessen. Aufgaben müssen unbedingt kontrolliert und Gelerntes abgefragt werden. Was nicht kontrolliert wird, wird nicht gemacht.
Umgang mit der Unruhe
Ein hyperaktives Kind zappelt nicht mit Absicht. Hier zu ermahnen, zu kritisieren, gut zuzureden oder auch mit Strafarbeiten zu drohen, ist nicht hilfreich. Im Gegenteil es lässt das Erregungsniveau des Kindes ansteigen und kann zum „Ausrasten“ führen.
Hat sich das Erregungsniveau eines Schülers – aus welchen Gründen auch immer – so stark erhöht, dass es zu einem Abreagieren kommt, kann das in heftigen, persönlich formulierten verbalen Attacken geschehen, die verletzend sein können. Hier hilft nur, gelassen bleiben, nichts persönlich nehmen (denn so ist es vom Kind auch nicht gemeint!), direktiv das Kind unterbrechen und den Schüler eine Weile aus dem Raum entfernen. Sogenanntes „Gehirn lüften“ oder „Time out“ senkt das Erregungsniveau wieder. Wichtig ist das Kind dann schnell wieder ins Klassenzimmer zurück zu holen, wenn es sich beruhigt hat und zunächst in ganz normalem Ton weiter zu machen, als sei nichts gewesen. Ein Besprechen der Situation ist erst später (Stunden später oder am nächsten Tag) sinnvoll.
Probleme im sozialen Umfeld
Aufgrund ihrer Auffälligkeiten haben Kinder mit AD(H)S vielfältige soziale Probleme: Frau Cordula Neuhaus schreibt dazu:
„ Andere Kinder wissen sehr gut, wo beim ADHS Kind „der Knopf zum Draufdrücken“ ist. Das gilt spezielle für das hyperaktive Kind. Wenn der Lehrer nicht direkt bei der Tat dabei war, kann er nicht sanktionieren, ohne dabei ungerecht werden zu müssen…. Am besten hierfür: Das Volk auseinanderdividieren und zur Tagesordnung übergehen – stunden- oder tagesversetzt kann man eine soziale Viertelstunde einrichten. Dies ist die beste Prophylaxe gegen Klassenkasper und Sündenbockentwicklung.“ (Broschüre C. Neuhaus S.16)
Förderung mit geeigneten Lernspielen
Im Internet gibt es ein breites Angebot an speziellen Lernspielen für Kinder mit AD(H)S. Bei Spielundlern.de gibt es hierzu eine eigene Kategorie Förderspiele bei ADHS. Ganz neu ist „Zappelix zaubert“, ein Geschicklichkeitsspiel für den PC, das sich für Kinder ab 5 Jahren eignet. Zappelix ist in unterschiedlichen Versionen für zuhause und für die therapeutische Praxis verfügbar.
Der Spieler schlüpft dabei in die Rolle des Jungen Zappelix, der seit Jahren von Plagegeistern gequält wird und hilft ihm die Störenfriede aus seinem Leben zu führen. Das Spiel wurde von Dr. med. Helmut Bonney, Facharzt für Kinderheilkunde mit kinderneurologischer Spezialisierung und Autor zahlreicher Bücher zu dem Thema ADHS, entwickelt. In unterschiedlichen Schwierigkeitsgruppen werden Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Handlungsplanung der Kinder trainiert.
Ein Gedanke zum Schluss:
Das Leben mit Kindern mit AD(H)S ist und bleibt spannend und hat seine besonderen Herausforderungen. Aber das ist nicht alles: Wenn ich an Schüler wie Tobias denke, dann sind da auch die vielen schönen, tiefen Begegnungen. Da erlebe ich in besonderer Weise Liebenswürdigkeit, Einfühlungsvermögen, Hilfsbereitschaft, Witz und Humor, Phantasie und Kreativität, Charme, Zähigkeit und die Bereitschaft jeden Tag wieder neu zu beginnen und nichts nachzutragen… auch das ist AD(H)S!
Quellen:
Dieter Krowatschek: „Was tun? Mein Kind ist ein Zappelphilipp – ADS-Kinder verstehen und erziehen“, AOL-Verlag
Broschüre Cordula Neuhaus: „ADHS: ein Kind mit ADHS – Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung im Unterricht“ Hrsg: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Kuhloweg 37 -39, 58638 Iserlohn
Cordula Neuhaus: „ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – Symptome, Ursachen und Behandlungen“ 2. Aktualisierte Auflage 2009, Verlag W. Kohlhammer
Neuhaus / Trott / Berger-Eckert / Schwab / Townson „Neuropsychotherapie der ADHS – Das Elterntraining für Kinder und Jugendliche (ETKJ ADHS) unter Berücksichtigung des selbst betroffenen Elternteils“ 1.Auflage 2009, Verlag W. Kohlhammer
Über die Autorin:
Ute Scheifele unterrichtet am „Privaten Gymnasium Esslingen“ www.privates-gynmasium.de
(bundesweit erstes Gymnasium für Schüler mit ADHS) Kontakt: mu.scheifele@web.de
– bietet Kurse im Rahmen der LIFE´S´COOL Eltern- und Azubischule zu den Themen „Gehirngerechte Lerntechniken“ „Dauerhafte Motivation“ „Konstruktive Kommunikation“ an.
Mein Sohn befindet sich im Themenbereich ADHS/ Autismus/ HB (höchste Testung 148) Je nachdem welche Fachpersonal man konsultiert ist sein Verhalten „normal“ plausibel oder pathologisch. Als Eltern ist man da schon ratlos. Manchmal wünschte ich es gäbe spezielle Sonderschulen für neurodivergente Kinder. Ein „hb“ Kind passt aber leider in eine reguläre Sonderschule… Ich wünsche einfach die Lehrer wäre besser zu diesem Thema informiert und die Klassen wären einfach kleiner.
Danke für den tollen, einfühlsamen Artikel.