Kaum jemand würde heutzutage bestreiten, dass Kleinkinder eine altersgemäße Form der Erziehung brauchen. Sie brauchen eine Umgebung, die ihre Entwicklung fördert und vor allem: sie lernen im Spiel. Doch diese Wahrheiten waren vor zweihundert Jahren in Deutschland noch keineswegs selbstverständlich. Kleinkindern so etwas wie Individualität zuzugestehen war ein noch neuer Gedanke. Und wenn das Bürgertum mittlerweile den Bildungsgedanken auch in die Pädagogik getragen hatte, so hieß die Realität der meisten Kinder bis weit ins 19. Jahrhundert hinein: Kinderarbeit.
Entstehung des Kindergartens im 19. Jahrhundert
Aber das 19. Jahrhundert war auch die Entstehungszeit für verschiedene Formen der Kinderbetreuung. Die ungarische Adelige Teréz Gräfin von Brunszvik gründete 1828 eine der ersten Einrichtungen für Kleinkinder. Brunszvik gab ihr schönen Namen „Engelgarten“. Tatsächlich gilt die als Brgründerin des Kindergartens in Ungarn. Sie geriet zwar in Vergessenheit, ihre Pionierarbeit aber zeigte Wirkung: seit 1837 gibt es in Ungarn die Kindergärtnerinnen-Ausbildung, seit 1959 sogar als Hochschulstudium.
Für Deutschland ist natürlich Friedrich Fröbel der Vorreiter einer pädagogisch fundierten Praxis der Kleinkindbetreuung. Er erfand auch den Begriff „Kindergarten“, der dann sogar in andere Sprachen übernommen wurde. Gleichzeitig zu diesen ersten Gehversuchen in der Kleinkindpädagogik gab es schon Einrichtungen, die uns heute wenig fortschrittlich und pädagogisch erscheinen. Fröbels Leistung liegt für Günter Erning insbesondere „in der Entwicklung einer Theorie der Kleinkindpädagogik, die – unabhängig von jeder sekundären standes- oder klassenpolitischen Zwecksetzung – die Bildung des Menschen zum Thema hatte.“
Kinderbewahranstalten für die Armen
Auch die ersten Kinderbewahranstalten entstanden in Deutschland am Anfang des 19. Jahrhunderts. Sie hießen auch Warteschulen oder Kleinkinderschulen und waren insbesondere für die Kinder ärmerer Eltern gedacht. Betrieben wurden diese Einrichtungen häufig durch christliche Bürgervereine. Nächstenliebe und Armenpflege waren ihr Anspruch. Den Kindern sollte Disziplin und Ordnung vermittelt werden. Eventuell gab es auch schulvorbereitende Maßnahmen. Christliche Träger strebten danach, Kinder frühzeitig religiös zu unterrichten. Eine wirkliche Vorstellung vom kindlichen Lernen gab es dabei nicht. Tatsächlich waren die Verwahranstalten ursprünglich aber nicht ganz ohne progressive pädagogische Vorstellungen entstanden. Der Engländer Samuel Wilderspin (1791-1866), durch den die Einrichtungen auch in Deutschland populäre wurden, ermutigte etwa zum Lernen durch Erfahrung. Auch wird Wilderspin oft mit der Entstehung der ersten Kinderspielplätze in Verbindung gebracht, die ab 1820 vereinzelt als städtische Einrichtungen auftauchen. Die Vorstellungen von der besonderen Bedeutung der frühen Kindheit aber entwickelte erst Friedrich Fröbel.
Die gesellschaftliche Funktion der Kinderbewahranstalten
Der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft hatte auch in Deutschland einen erheblichen Teil der Landbevölkerung in die entstehenden Arbeiterquartiere der Städte getrieben. Hier lebten die Menschen isoliert von dörflichen Familienstrukturen. Lange Arbeitszeiten waren die Regel. Ihren Kleinkindern mangelte es an häuslicher Pflege. Ihr Dasein war geprägt von „einer schlichten Nicht-Erziehung durch Abwesenheit der arbeitenden Mutter“ (Peter Buchenau). Hinzu kamen beengte Wohnbedingungen, schlechte hygienische Verhältnisse, Krankheiten. In den Verwahranstalten wurden die Kinder vom ersten Lebensjahr bis zur Schulpflicht vornehmlich an Reinlichkeit und Ordnung gewöhnt. Kinderbewahranstalten folgten in der Realität also weniger einem pädagischen Konzept. Stattdessen organisierten sie eine „Massenerziehung“ mit dem Ziel der „Verbrechens- und Verrohungsprävention“ Kurz gesagt waren sie „Einrichtung zur Verhütung gesellschaftlicher Konflikte.“
Die Entdeckung der Kindheit
Bis weit ins 18. Jahrhundert wurde Kindheit nicht als eigenwertige Lebensphase begriffen. Kinder bedurften keiner besonderen Zuwendung. Sie sollten nur eines: möglichst schnell arbeitsfähig werden. Seit dem Mittelalter wurden sie mit sieben Jahren als kleine Erwachsene behandelt. Kindern wurde keine Individualität zugestanden. Sobald sie kräftig genug waren, halfen sie in der Viehzucht, auf dem Feld oder in den Manufakturen. So etwas wie eine „kindgemäßte Erziehung“ wurde erst von Rousseau gefordert und vom Schweizer Sozialreformer Pestalozzi als Grundgedanke in die Pädagogik eingeführt. Die praktische Umsetzung einer Kleinkinderziehung von 0 bis 6 Jahre schließlich war ein Neuland, das erst Friedrich Fröbel Fröbel betrat.
Friedrich Fröbels Spielpädagogik
Von zentraler Bedeutung in der frühen Kindheit ist für Fröbel das Spielen. Er wendet sich dagegen, das kindliche Spiel als Müßiggang oder als Ausdruck von Langeweile und Disziplinlosigkeit aufzufassen. Vielmehr sieht er im Spiel die naturgemäße Form der frühen Entwicklungsphase und nennt es die „höchste Stufe der Kindesentwicklung“. Spielen fördert die „gesunde Entwicklung“. Es zu „schützen“ und zu „nähren“ ist die Aufgabe von Eltern und „Kinderführer und Kinderführerinnen“. Sie wird Fröbel später Kindergärtnerinnen nennen. Ihre Aufgabe ist es, sich dem Kind im Spiel zuzuwenden. Das Mitspielen der Erwachsenen erfordert Anerkennung und Zuwendung. Dem Kind wird Individualität zugestanden, die es spielend entfalten kann. Selbstentfaltung der eigenen Kräfte durch Anregung im Spiel ist das neuartige Ziel der Pädagogik Fröbels.
Fröbels Spielgaben
Fröbel entwickelte auch die heute sogenannten Fröbelbausteine, die es dem Kind ermöglichen sollten, vom Kleinkindalter bis zur Sekundarstufe kreativ zu sein. Diese sogenannten Fröbel Spielgaben bauen aufeinander auf:1. Gabe: Ball (sechs weiche Wollbällchen in den Grundfarben).
2. Gabe: Holzkugel und Holzwürfel (zwischen ihnen vermittelnd die Walze mit
drei gleichen Hauptachsen).
3. Gabe: Würfel (geteilt in acht kleine, gleichgroße Würfel).
4. Gabe: Würfel (geteilt in acht gleichgroße, rechteckige Säulen).
5. Gabe: Würfel (geteilt in 27 gleichgroße Teilwürfel, sechs dieser Teilwürfel
sind weiter zerlegt in quadratische Pyramiden).
6. Gabe: weitere Unterteilungen des ursprünglichen Würfels nach dem Prinzip
der vierten und fünften Spielgabe.
Im Spiel mit den Materialien (und den Erwachsenen) entfaltet das Kind die drei Seiten seines Entwicklungspotentials: Handeln, Fühlen und Denken. Dem entspricht jeweils der Sinn für das Nützliche, das Schöne, das Wahre. Fröbel war damit letztlich der Erfinder des Lernspielzeugs.
Der Kindergarten als Begriff
Der Kindergarten ist der Ort, an dem das Kind sich spielend entfalten kann. Die Analogie zur umhegten, unter angemessenen Bedingungen wachsenden Pflanze ist offensichtlich. Gedacht war Fröbels Kindergarten ursprünglich auch als Anschauungsstätte für Mütter. Keineswegs sollte die Kindergärtnerin die frühkindliche Erziehung im Elternhaus ersetzen. Stattdessen sollte auch den Eltern die Handhabung der Fröbelschen Spielgaben nahegebracht werden. Für das Kind sollte der Kindergarten eine Schule des Spiels sein. In der Verbindung einer altersgemäßen Erziehung mit dem Betreuungsgedanken liegt letzlich sein begrifflicher Kern. Nicht Unterricht, sondern Pflege und kindgerechte Beschäftigungen und Spiele fördern die Entwicklung des Kleinkindes.
Weitere Beschäftigungen und Spiele in Fröbels Kindergarten
Neben den Spielgaben entwickelte Fröbel auch ein System von – wie er es nannte – Beschäftigungen für den Kindergartenalltag. Die Beschäftigungen umfassen drei Bereiche:
– Mutter- Kose- und Spiellieder.
– verschiedenste Bewegungsspiele
– Beschäftigungsspiele mit unterschiedlichsten Fröbel Materialien (z.B. Perlen, Knöpfe, Sand, Ton usw.)
Die Beschäftigungsspiele leiten das Kind vom Konkreten zum Abstrakten. Im Spiel mit den Materialien erfährt es Begriffe wie Oberfläche, Linie und Punkt.
Schließlich soll der Kindergarten auch tatsächlich ein „Garten für Kinder“ sein, d.h. es muss einen Garten geben, in dem möglichst jedes Kind sein eigenes Beet zum Bearbeiten hat. Dabei pflanzen die Kinder zwar „was und wie sie es wollen“, sollen aber auch die Erfahrung machen, „dass man auch sorgsam und gesetzmäßig mit den Gewächsen umgehen müsse“.
Die ersten Kindergärten
1837 schon hatte Fröbel im Thüringer Wald die erste „Pflege-, Spiel und Beschäftigungsanstalt“ gegründet. Am 28. Juni1840 wurde im Rathaussaal von Blankenburg der erste Kindergarten als Stiftung ausgelobt. Rasch wurden auch Kurse für Kindergärtnerinnen in Fröbels Allgemeiner Deutschen Bildungsanstalt ins Leben gerufen (seit 1817 in Keilhau bei Rudolstadt). Um seine Kindergartenidee zu verbreiten, unternahm Fröbel selbst ab 1844 Vortragsreisen durch Deutschland. In manchen Orten machte er wochenlang Station, wenn auf entsprechendes Interesse traf. Bis 1846 entstanden so weitere an Fröbels Vorgaben orientierte Kindergärten in Annaburg, Lünen, Dresden, Frankfurt am Main, Homburg v.d.H., Gotha und Quetz.
Verbot der Kindergärten in Preußen 1851
Fröbels erste Kindergärten bestanden in Preußen nur wenige Jahre. Ein Verbot durch die Preußische Regierung kündigte sich an, als im Mai 1851 die Gründung eines Fröbel-Kindergartens in Nordhausen untersagt wurde. Im vorauseilenden Gehorsam wurde der Bürgerkindergarten Annaburg schon Anfang des Jahres geschlossen. Im Verbotserlass des preußischen Kulturministeriums vom 7. August 1851 heißt es: „…die Kindergärten bilden einen Teil des Fröbelschen sozialistischen Systems, das auf Heranbildung der Jugend zum Atheismus gerichtet ist.“ Anlass dazu war die nicht konfessionsgebundene proreligiöse Erziehung der Kinder und die Tatsache, dass Fröbels Gedanken von freikirchlichen und liberalen Kreisen während der 48er Jahre aufgegriffen worden waren. Nach der Niederschlagung der Revolution 1848 hat der restriktive Konservatismus der preußischen Regierung damit sehr bewusst versucht, eine moderne und liberale pädagogische Entwicklung zu unterbinden. Allerdings führte das Verbot dazu, dass die SchülerInnen Fröbels die Kindergartenidee verstärkt außerhalb Preußens verbreiteten. 1860 bewirkte der Druck ihrer zunehmenden Popularität ein Nachgeben der preußischen Regierung: das Verbot wurde wieder zurückgenommen.
Quellen
- Peter Buchenau: Chefsache Betriebskita, Springer Gabler, 2014
- Manfred Berger: Friedrich Fröbels Konzeption einer Pädagogik der frühen Kindheit, Beltz 2000
- Johannes Kückens: Rousseau: Entdecker der Kindheit
https://www.geo.de/magazine/geo-kompakt/6772-rtkl-kindheit-rousseau-entdecker-der-kindheit - Wikipedia: Kindergarten
https://de.wikipedia.org/wiki/Kindergarten - Der Pestalozzi-Fröbel Verband und sein Archiv
- http://pfv.info/wp-content/uploads/2016/04/Artikel-pfv-Historie_C_Lost_05-2002.pdf
- Dr. Günter Erning : Die Entwicklung des Kindergartens in Deutschland
https://kindergarten-museum.de/geschichte - Kindergartengeschichte
http://annaburger-chronisten.de/inhalt/annaburg/interessantes/kindergartengeschichte/
Ein toller Beirag den ich gelesen habe, sind auf der Suche nach einem Kindergarten für meine Tochter und bin zufällig auf diese Seite gestoßen.
Lg Mona
Vielen Dank für Ihren Kommentar!
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