Die Sommerferienregelung und Kontroverse in 9 Kapiteln

Können Sie sich den Zeitpunkt für Ihre Sommerferien einfach aussuchen? Ja! Nein!

Sommerferien sind Stau, teure Flüge, volle Strände?

1. Diese Dinge haben Sie falsch angepackt!

Achten Sie auf Folgendes und fahren Sie in die Sommerferien:

  • in der preiswertesten Buchungszeit
  • im wärmsten Sommermonat
  • zu einer staufreien Zeit, wenn alle anderen arbeiten müssen
  • und hausieren Sie unbedingt nur in buchbaren Unterkünften – der Tourismusbranche zur Liebe

Haben Sie es gemerkt? Das war Satire.

2. Das rollierende System der Sommerferien

Es soll das alles ermöglichen. Solche Ziele wie oben hat sich das seit den 60er Jahren in Deutschland installierte rollierende System auf die Fahnen geschrieben: Der Kern des Systems: Die Schüler dürfen dabei bundeslandabhängig und rotierend mal früher, mal später in die Sommerferien starten.

Durch die Streckung der Sommerferienzeit auf bis zu 3 Monate sollen

  • die Preise für Flug und Unterkunft in Grenzen gehalten werden
  • die Familien abwechselnd den Frühsommer oder den Spätsommer genießen
  • der Verkehr, besonders auf der Nord-Süd-Achse entlastet, die Menschenmengen gesplittet
  • und die Urlaubsorte so lange wie möglich touristisch gefüllt und wirtschaftlich gefördert werden.

3. Die Kritiker der aktuellen Ferienregelung

Diesen vier großen Vorteilen stehen beträchtliche Nachteile gegenüber, so behaupten es Kritiker.

Im Herbst dieses Jahres loderten daher die Gespräche um die Regelung zu den Sommerferien in Deutschland wieder auf. Losgetreten haben die Diskussion die Länder Berlin und Hamburg. Sie beantragten dieses Jahr eine Verkürzung der Periode, in der die Ferien in den Bundesländern versetzt stattfinden, von 83 auf 72 Tage.

Manche sagen: Am besten alles beim Alten belassen.

Andere wiederum greifen die Gelegenheit beim Schopf und fordern deutschlandweit einheitliche Ferienzeiten.

Was ist gerecht, was ist zumutbar und vor allem: Was ist machbar?

4. Die Ausgangslage zur Sommerferienregelung

Der Stand der Dinge ist:

Jedes Bundesland hat 75 Ferientage im Jahr, davon mindestens 6 Wochen Sommerferien. Es gibt also bundesweit die gleiche Anzahl Ferientage. So weit, so gerecht.

Um diese bundesweit gleiche Anzahl an Ferientagen zu ermöglichen und gleichzeitig zu vermeiden, dass bundesweit die Sommerferien auf den gleichen Zeitraum fallen, wurde 1964 mit dem „Hamburger Abkommen“ das rollierende System für die Sommerferien eingeführt.

Dabei verabschieden die Länder abwechselnd mal als erste, mal als Nachzügler ihre Schulkinder in die langen Ferien.

Alle anderen Ferientermine sind Ländersache – und meist genauso jährlich wechselnd, denn natürlich verschieben sie sich mit den Sommerferien mit.

Bayern und Baden-Württemberg genießen hierbei aufgrund einer interessanten Argumentation seit Jahrzehnten eine Sonderstellung und sind immer Ferien-Schlusslichter, alljährlich greifen sie den schönsten Monat August für ihre Ferien ab.

5. Das Problem bzw. die – vielen – Probleme der Sommerferienregelung

Aufgrund der vorherrschenden Konfession in mancher Region fallen unterschiedliche kirchliche Feiertage an, wodurch die Ferienzeiten in jedem Bundesland differieren und sich jährlich immer wieder aufs Neue verschieben. Dass einige dieser Feiertage ebenfalls von Jahr zu Jahr variieren – das geläufigste Beispiel ist Ostern – verkompliziert die Angelegenheit zusätzlich.

Problematisch am rollierenden System ist auch, dass die Unterrichtszeit im letzten Schulhalbjahr in manchem Bundesland um bis zu 4 Wochen kürzer ausfallen kann. Die „sportliche“ Herausforderung für die betroffenen Lehrer: den Unterrichtsstoff in einem Monat weniger an den Mann zu bringen.

Durch die sehr breite Zeitspanne, in der Schüler hierzulande in die Sommerferien gehen, wird beispielsweise eine Terminfindung für die angestrebte bundesübergreifende Abiturprüfung verunmöglicht.

Vom Aspekt der Praktikabilität beschäftigt es seit den 60er Jahren ganze Kohorten von Fachleuten und Kulturministerkonferenzen mit wiederkehrenden Absprachen, wer, wann, wie lange, welche Ferienzeit antreten darf.

Dazu beschäftigt es die Öffentlichkeit, denn Gerechtigkeit auf Papier führt nicht notgedrungen zur Fairness.

6. Kurioses zur Ferienregelung

Das fast 60 Jahre alte rollierende System der Sommerferien wird dazu von kuriosen Situationen begleitet, die jeden lösungsorientierten Menschen ratlos zurücklassen:

Nach 1966 gab es 2018 erstmals wieder Pfingstferien in Nordrhein-Westfallen. Durch Überlagerung von Feiertagen in Ferienzeiten, blieben dort 3 Ferientage ungenutzt, die man mittels den Überraschungs-Pfingstferien „abbummelte“. Und – auf den Geschmack gekommen – sollten die Pfingstferien fortan bleiben. Dies ist ja Ländersache – also gesagt, getan. Nehme sich doch jeder bitte die Ferien dann, wann es sie braucht!

Ein zweites wunderliches Beispiel ist nicht weit:

Baden-Württemberg und Bayern haben hingegen nach Pfingsten regulär eine Woche Ferien – entsprechend starten dort die Sommerferien später – mit der Begründung, dass sonst das Lernpensum und die Prüfungen vor den Sommerferien sonst nicht zu bewältigen sind.

Noch in den 60er Jahren hieß es dabei als Begründung für diese bundesweit spätesten Sommerferien, in ländlichen Gebieten benötigten die Schulkinder die späten freien Tage, weil sie als Erntehelfer einspringen müssten. Ein Schelm, der hier eine Extra-Wurst erblickt.

Warum also nicht gleich die Sommerferien bundesweit auf ein Datum legen und allen die gleichen Vorteile und Nachteile gewähren?

7. Die Interessengruppen und das Ringen um Wichtigkeit

Für die Optimisten gleich eine schlechte Nachricht: Bei dieser Frage reden nicht nur Schulbehörden, Lehrer, Eltern und Schüler mit, quasi die direkt Betroffenen – nein, einige wirtschaftlich potente Interessenverbände mischen die Diskussion mit auf – vor allem der Tourismusverband und der ADAC.

Es ist ein unmögliches Unterfangen, über die Sommerferien zu entscheiden, ohne Verlierer zu generieren. Es gibt schlicht zu viele Interessengruppen, sodass die „Wunschliste“ vielfältig ist.

Wie fast überall im Leben kann man es nicht jedem Recht machen. Daher gilt vernünftiger Weise das Gebot der Priorität.

Haben die Bedürfnisse der Eltern und Schüler, der Schule und Lehrer oder der Wirtschaft Priorität?

Diese Frage beantworten die jeweiligen Interessengruppen naturgemäß unterschiedlich.

8. Der kritische Blick auf die Argumente gegen zeitgleiche Sommerferien

Welche Argumentation führt der Tourismusverband ins Feld? Er führt seine Bedenken vorwiegend anhand angstschürender Aufreißer ins Feld. Bei einer kürzeren Saison würden die Unterkünfte und Ferienorte überlastet sein, was den Wohlfühlfaktor gefährde und die Preise explodieren ließe. Eine damit einhergehende längere Nebensaison brächte dazu einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen mit sich.

Hier stellen sich dem aufmerksamen Betrachter zwei wichtige Fragen:

Auf der Kulturministerkonferenz rauchen alle 5 Jahre die Köpfe, um der Tourismusbranche eine lange Saisonzeit zu bescheren. Es wäre doch sicher möglich, dass auch die Tourismusbranche die Köpfe rauchen lässt, wie eine solche kürzere Saisonzeit möglicherweise doch zu stemmen wäre. Schließlich ist es nicht so, dass Deutschland in der Wüste liegt, viele verreisen ja auch ins Ausland, und aus dem Ausland wiederum kommen Touristen ins Land.

Hier würden aktuelle Zahlen helfen, die Situation besser einzuschätzen. Wie lauten diese Zahlen, wäre der Tourismus in Deutschland durch einheitliche Sommerferien tatsächlich vom Aussterben bedroht?

Und auch wenn die Kausalkette so stimmen würde: Es muss die Frage erlaubt und erörtert werden, ob wirtschaftliche Aspekte der Tourismusbranche überhaupt entscheidungsrelevant sein sollten für einen Beschluss der Bildungspolitik?

Und was sagt der ADAC?

Kilometerweite Staus bebildern sein Kernargument gegen zeitgleiche Sommerferien.

Auch hier scheinen Befürchtungen mehr als Fakten zu sprechen. Es soll ja sogar durchaus vorkommen, dass Familien bodenständig und sparsam in der nahen Region Urlaub machen oder einfach zu Hause bleiben. Oder geistesgegenwärtig zeitversetzt fahren, wenn Staumeldungen die Abendnachrichten prägen.

9. Ein Blick über den Tellerrand – die Ferienregelung im Ausland

Und wie sieht es im europäischen Vergleich aus?

Das bundeslandabhängige Feriensystem in Deutschland ist einmalig in Europa, nur England ist ähnlich dezentral. Diese föderalistische Prägung, das nämlich die Bundesländer die Hoheit über viele Entscheidungen in politischen und gesellschaftlichen Belangen behalten, hat althergebrachte geschichtliche Wurzeln – und Vor- und Nachteile.

Man sollte sich von der Geschichtsträchtigkeit dieses Modells nicht von ernsthaften Diskussionen abbringen lassen.

In Russland, Frankreich, Spanien, Italien, Belgien und Holland sind die Sommerferien landesweit einheitlich.

Auch dort gibt es Tourismus und staugefährdete Autobahnen, scheinbar gibt es dort auch vernünftige Lösungen für eine einheitliche Ferienzeit. In europäischen Kulturministerkonferenzen rauchen die Köpfe jedenfalls über andere Themen als 60 Jahre lang über die faire Verteilung der Sommerferien in 16 Regionen.

Es könnte sich also vielleicht doch frischer Wind in der Regelung zu den Sommerferien einstellen – die diesen Herbst besprochen und dann aber erst 2025 in Kraft treten wird.

Aufgrund solcher langen Planungsphasen ist es wohl besser, die Entscheidung für oder gegen zeitgleiche Sommerferien wohl und genau zu überlegen.

 

Beitrag von Alice Linz, Redaktion SpielundLern.de

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