Bei der Reggio Pädagogik handelt es sich um einen elementarpädagogischen Ansatz. Das heißt, sie richtet sich ursprünglich an Kinder bis zum Alter von sechs Jahren und zählt somit zur Vorschulpädagogik. Der Name geht auf die italienischen Provinz Reggio Emilia und die gleichnamige Stadt zurück, wo diese pädagogische Richtung entstand.
Entstehung der Reggio Pädagogik
In Reggio Emilia begann man schon Anfang des 20. Jahrhunderts, in Sachen institutioneller Kinderbetreuung eigene Wege zu gehen, als man sich größere Unabhängigkeit aushandelte. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs setzten sich dann vor allem die Frauen leidenschaftlich und einfallsreich für die Finanzierung und Organisation der dortigen Kinderbetreuung ein. Das Vorhaben wurde von der gesamten Bevölkerung unterstützt. Dies ist ein Charakteristikum der – quasi gewachsenen – Reggio Pädagogik: Die Einbindung der dörflichen oder städtischen Gemeinschaft und der Rückhalt, der dort gesucht und auch gefunden wird.
Was man heute als Reggio Pädagogik bezeichnet, bezieht sich allerdings in erster Linie auf den Werdegang nach 1970. An diesem war der Pädagoge Loris Malaguzzi maßgeblich beteiligt. Er steuerte als Fachmann viel zu der Reggio Pädagogik bei, griff aber vor allem das auf, was schon vorhanden war: nämlich die gewachsene Auffassung, dass die Erziehung der Kinder nicht nur einigen wenigen überlassen bleiben sollte, sondern dass das gesamte Umfeld der Kinder mehr oder weniger daran beteiligt sein muss.
Reggio Pädagogik und Reformpädagogik
Die Reggio Pädagogik ist jünger als die meisten bei uns bekannten reformpädagogischen Ansätze. Sie teilt sich mit diesen jedoch die entscheidenden Merkmale. Erziehung und Bildung der Kinder soll mit Blick auf deren altersbedingte Interessen und Möglichkeiten stattfinden: Man will also mit den Stärken und nicht gegen die Schwächen des Kindes arbeiten. Die Pädagogik soll nachhaltig sein und dem Wohl der Kinder dienen. Die Kinder sollen auf ihrem Weg zu mündigen, eigenständigen Individuen erzieherisch begleitet werden, statt dass sie in ein System gezwängt werden, das von den Erzieherinnen und Erziehern durchgesetzt werden muss.
Das zugrunde liegende Menschenbild ist positiv. Die ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung und die Vorbereitung auf das Leben stehen im Mittelpunkt. Es wird viel Wert auf demokratische Teilhabe der Kinder gelegt und auf eine Didaktik, die zum Lernen motiviert, statt Zwang und Druck auszuüben. Man geht davon aus, dass das Kind auf instinktiver Ebene am besten weiß, was es braucht. Wenn man ihm die nötige Freiheit gewährt, ist es von sich aus neugierig und lerneifrig.
Einem ganzheitlichen Denken entsprechend wird der Einfluss des sozialen Umfelds auf Entwicklung, Lernmotivation und Lernerfolg des Kindes nicht nur berücksichtigt, sondern sogar in besonderem Maße betont.
Letzter Punkt trifft vor allem auf die Reggio Pädagogik zu. Schon indem sie die Sozialgemeinschaft ganz besonders umfangreich in den erzieherischen Prozess einbinden will, setzt sie sich ein wenig von anderen reformpädagogischen Richtungen ab. Beim Benennen von Unterschieden ist außerdem zu betonen, dass die Reggio Pädagogik eher als Philosophie denn klar definierte Methode zu verstehen ist.
Die Bedeutung von Flexibilität in der Reggio Pädagogik
Indem sie sich eben nicht auf ein schriftlich ausgearbeitetes Konzept stützt, ähnelt die Reggio Pädagogik sehr der Freinet Pädagogik. Sie will ebenso wie diese flexibel und lernfähig bleiben. Sie berücksichtigt somit, dass sich erzieherische Methoden anderenorts selten eins zu eins übernehmen lassen. Das ist absolut logisch, weil das soziale Umfeld ja erklärtermaßen eine große Rolle spielt, aber nirgends absolut gleich ist.
Man folgt also den elementaren Zielsetzungen der pädagogischen Philosophie, bewahrt sich aber die nötige Offenheit und Beweglichkeit, um sinnvolle und gangbare Wege zu finden, welche zu der jeweiligen sozialen Umgebung und Situation passen.
Die Erwachsenen in der Reggio Pädagogik
Fast automatisch kommt den Beteiligten damit die Aufgabe zu, sich selbst als Forschende und Dazulernende zu verstehen. Das betrifft nicht nur die pädagogischen Fachkräfte, sondern auch die Eltern, die Gemeinde, Mitglieder der Verwaltung und so weiter. Sie alle sollen bei der Erarbeitung von Konzepten, Planung von Projekten und deren Umsetzung mitmachen. Durch die Anerkennung, dass sie ihre eigene Kompetenz mitbringen, erfahren sie Wertschätzung und sind respektierter Bestandteil des Gesamtkonzepts. Das stärkt das Gemeinschaftsgefühl und den Rückhalt in der Bevölkerung.
Gemeinsamkeiten zwischen Freinet und Reggio Pädagogik
Freinet und Reggio Pädagogik teilen sich die Haltung, dass Offenheit und Lernwilligkeit seitens der Erziehenden immens wichtig sind. Darüber hinaus weisen auch die folgenden Punkte darauf hin, dass diese beiden Ansätze einander in vielen Punkten ähneln:
- Die Bereitstellung von Räumen, Geräten, Werkzeug, Material etc. soll es den Kindern nicht nur ermöglichen, eigenen Ideen nachzugehen, Projekte zu planen und dann auch umzusetzen. Sie sollen auch anregend wirken. Die Räumlichkeiten sollen die Kinder gleichermaßen motivieren und inspirieren. Es wird vom Raum als dem drittem Erzieher gesprochen.
- Sowohl bei der Freinet als auch der Reggio Pädagogik werden täglich Versammlungen zur Organisation und Planung abgehalten. Entscheidungsprozesse laufen demokratisch ab.
- Beide Ansätze legen großen Wert auf Dokumentation. Es gehört zu den ausdrücklichen Aufgaben der Erzieherinnen und Erzieher, die Fortschritte der Kinder zu beobachten und festzuhalten oder bei der Dokumentation zu helfen. Noten im herkömmlichen Sinn gibt es nicht.
- In der Freinet Pädagogik spielt die selbst erstellte Wandzeitung eine wichtige Rolle. In der Reggio Pädagogik sind es gemalte Bilder, die an den Wänden thematisch geordnet aufgehängt werden.
Die Gegenüberstellung von Wandzeitung und Bildern weist zum Schluss auf einen Unterschied zwischen den beiden Ansätzen hin: Die Reggio Pädagogik ist wie bereits erwähnt auf die vorschulische Betreuung zugeschnitten, die Freinet Pädagogik wiederum eher für die Schule gedacht. So malen die jüngeren Kinder noch Bilder und die älteren produzieren bereits eine Zeitung, die sie selbst drucken. Das Alter muss in der Pädagogik berücksichtigt werden. Folglich sind diese beiden pädagogischen Richtungen bei aller Ähnlichkeit nicht gleichzusetzen.
Nichtsdestotrotz existieren auch Freinet Kindergärten und Reggio Schulen.
Reggio Pädagogik in Deutschland
Die Reggio Pädagogik ist international und in Fachkreisen sehr anerkannt. In Deutschland sind Reggio Kitas leider dennoch nicht sehr häufig. Es besteht ein deutliches Südwestgefälle: In Westdeutschland ist ein Reggio Kindergarten erheblich leichter zu finden als in Ostdeutschland – und im Süden eher als im Norden. Es bleibt zu hoffen, dass der Bekanntheitsgrad der Reggio Pädagogik hierzulande noch deutlich zunehmen wird.
Quellen und weitere Informationen:
- https://reggio-deutschland.de/reggio-paedagogik/
- https://kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/ausbildung-studium-beruf/fortbildung-aufbaustudium-supervision/1561
Ein Kommentar zu “Die Reggio Pädagogik: in Deutschland kaum bekannt”
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