Für viele Lehrkräfte in Deutschland sieht der Schulalltag noch so aus: Grüne Wandtafeln und Kreide als Standardausrüstung im Klassenzimmer, Overhead-Projektoren und ein staubiger Computerraum. Nicht nur dass die Technik in deutschen Schulen veraltet ist, auch der Einzug der Digitalisierung in das Leben der Menschen findet in der Schule kaum eine praktische, wenn auch schon theoretische Reflexion.
Die Digitalisierung einer Generation
Für Erwachsene, die in den 1980ern Jahren aufgewachsen sind, gehört die Grüne Wandtafel, Kreide, Overhead-Projektor und je nach Bundesland auch der Informatikraum mit einigen Intel 286 zur Standardausrüstung eines Klassenzimmers. Dass dieses Inventar in vielen Schulen immer noch zur Standardausstattung gehört (auch wenn man davon ausgehen darf das der Intel 286 durch eine neue Modellreihe ersetzt wurde) ist im Zuge der Digitalisierung des letzten Jahrzehnts als problematisch zu betrachten.
Während die Digitalisierung des Lebens in Restaurants, Einkaufszentren und selbst abgelegenen Hotels mit einem ständig verfügbaren WLAN schon lange Einzug gehalten hat, sind andere Bereiche und vor allem das Bildungswesen abgehängt. Universitäts-Bibliotheken mit hauseigenem WLAN lassen sich ausmachen, aber vor allem schulische Einrichtungen sind was die Arbeit mit internetbasierten Medien ausmacht noch im Hintertreffen.
Warum das digitale Klassenzimmer eine Notwendigkeit ist
Für Schüler, die ihr Privatleben auf Facebook und Instagram veröffentlichen und nebeneinander im Bus sitzend WhatsApp-Nachrichten versenden anstatt sich zu unterhalten ist ein großer Teil des Tages digital. Die Digitalisierung ist fest in der Lebenswelt der Kinder verankert, auch schulische Recherchen werden daheim kaum noch über Bücher vorgenommen, sei es die Ablösung des herkömmlichen Lexikons durch Wikipedia oder die Übersetzung von Fremdsprachen mit einem Online-Translator.
Medienkompetenz und der reflektierte Umgang mit sozialen Medien
Trotzdem sind immer noch Meinungen zu hören, die der digitalen Technik und dem Internet im Klassenzimmer Verhalten gegenüberstehen. Es wird von einer Gefahr für die traditionelle Schule geredet, dabei ist doch die eigentliche Gefahr das die jetzige Generation von Schülern sich unreflektiert im Internet bewegt. Der Auftrag einer modernen, digitalen Schulausbildung sollte aber darin begründet liegen, den Schülern die Fähigkeit zu vermitteln sich sicher in den sozialen Medien und dem Internet zu bewegen.
Medienkompetenz, der kritische und reflektierte Umgang mit der ständigen, digitalen Verfügbarkeit und das Vermögen Technik auch auszuschalten sollte schon in der Grundschule im Vordergrund stehen. Der Weg vom Konsumenten digitaler Medien hin zu einem Gestalter muss den Kindern bereits früh vermittelt werden. Individuelle Bedürfnisse zu fördern und die sich transformierenden, gesellschaftlichen Anforderungen sind eine weitere Notwendigkeit für das digitale Klassenzimmer.
Individuelle Förderung, Projektarbeit und virtuelle Arbeitsgruppen
Mit Hilfe der Technik in einem digitalen Klassenzimmer wird den Kindern eine neue Perspektive im schulischen Unterricht geboten: Wissen wird über die digitalen Geräte selbst entdeckt, erfahren und sich im individuellen Maßstab erarbeitet. Die Arbeit mit digitalen Medien bietet sich dabei in offenen Unterrichtsformen wie der Projektarbeit oder einer Lernwerkstatt besonders gut an. Aber auch unabhängig davon können die Schüler im digitalen Klassenzimmer etwa in virtuelle Arbeitsgruppen eingeteilt werden oder bearbeiten selbständig auf sie zugeschnittene Aufgabenstellungen.
Einige Schüler experimentieren lieber, andere wiederum arbeiten lieber textbasiert. Der Lehrer stellt die entsprechenden Gruppen oder speziellen Schüler zusammen und verteilt mit ein paar Klicks die Aufgaben oder digitalen Daten. Durch die Vernetzung der mobilen Geräte können auch Schüler am Unterricht teilhaben die sich nicht im Klassenzimmer sondern gerade an einem anderen Ort befinden. Viele erfolgreiche Unternehmen etwa profitieren durch die Einbeziehung von Teammitgliedern aus unterschiedlichen Orten zu einer digitalen Arbeitsgemeinschaft.
Von den bis hierhin aufgezählten Punkten profitiert auch ein weiterer Baustein der schulischen Förderung und Integration – die Inklusion, etwa von Flüchtlingen oder Schülern mit einer Behinderung. Von vielen bereits als ein gescheitertes Konzept ausgemacht, kann inklusives Lernen gerade durch das digitale Klassenzimmer (wieder) gelingen.
Das digitale Klassenzimmer am Beispiel DaF-Unterricht
Wird Deutsch als Fremdsprache (DaF) gelehrt, bietet sich etwa die Arbeit mit einem Tablet für die Lernenden an. Das Sprechen und Hören einer Sprache lässt sich so besonders gut aufzeigen, mit dem digitalen Gerät werden Filme und Audiodateien aus dem Internet abgerufen und können im individuellen Lerntempo verarbeitet werden. Mit einer technischen Lösung, wie etwa einem Splitter, besteht die Möglichkeit, dass auch 2 Personen gleichzeitig an einem Tablet arbeiten und sich gegenseitig unterstützen.
Das digitale Video auf dem Tablet zu schauen hat großen Einfluss auf den Lernprozess: Die Lernenden können eine kommunikative Situation erleben, denn wie in der Realität ist eine Kommunikation immer eine Abfolge mehrschichtiger Szenarien. Diese situativen Szenen sind nicht nur über die Sprache, sondern ebenso durch semiotische Merkmale, wie der Gestik, gekennzeichnet. Der Spracherwerbsprozess wird durch die Ganzheitlichkeit des Kommunikationsprozesses in einem digitalen Video für den Lernenden deutlich erleichtert. Zusätzlich kann die Situation auf dem Tablet durch pausieren des Videos angehalten und auch wiederholt werden um gezielt auf bestimmte Merkmale der Kommunikation zu achten.
Die Arbeit mit dem Tablet im DaF-Unterricht bringt aber auch noch einen weiteren Vorteil mit sich: Die Lernenden können selber digitale Inhalte entwickeln, etwa die Aufnahme eines eigenen Videos oder die multimediale Aufbereitung der Aufgabenstellung. Mit Hilfe verschiedenster Apps ist es möglich Sprache aufzeichnen, zu teilen oder auch zu bewerten. Die Präsentation und Diskussion in der Gruppe bildet dann den Abschluss einer Unterrichtseinheit. Es ist davon auszugehen, dass diese digital gesteuerten Lerneinheiten der Motivation von DaF-Lernenden förderlich sind und sich ebenso vorteilhaft auf die Kooperationsbereitschaft und gemeinschaftliche Arbeit auswirken.
Die Vielfalt und ständige Verfügbarkeit digitaler Lerninhalte
Abhängig vom Medienkonzept der jeweiligen Schulen bietet sich eine Fülle an digitalen Lerninhalten, die über mobile Geräte und Laptop abgerufen und bearbeitet werden können. So lassen sich Hausaufgaben in digitaler Form etwa als Foto, Video, Podcast, PDF oder integriert in eine App verteilen. Herkömmliche Aufgabenstellungen aus Büchern und auch Übungsblätter sollten aber weiterhin zu einem gewissen Maße angeboten werden, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen digitalen und analogen Übungen zu schaffen.
Speziell auf die Klassenstufe und die Unterrichtseinheit zugeschnittene digitale Inhalte lassen sich in einem eBook als Lernbegleiter vermitteln oder als erklärender Film zu einem bestimmten Wissensgebiet. Hervorragend eignen sich auch 3D-Animationen um komplexe biologische oder chemische Sachverhalte aufzuzeigen. Apps auf dem Tablet oder Smartphone können eingesetzt werden um Übungsaufgaben mit anschließendem Feedback oder Tests zur Selbsteinschätzung zu verteilen.
Digitale Lerninhalte werden am besten in einer Schul-Cloud gesammelt, welches eine Infrastruktur für Schüler und Lehrkräfte darstellt aus der Dateien abgerufen und auch wieder abgelegt werden dürfen. So können die Schüler in den Ferien, von zu Hause oder jedem anderen Ort der Welt die digitalen Inhalte und Aufgabenstellungen abrufen. Zusätzlich bietet die Cloud den Lehrern die Möglichkeit, Material auszutauschen und sich untereinander zu vernetzten. Funktionen, die außerhalb der Schule durch soziale Netzwerke oder diverser Apps erledigt werden mussten.
Strukturelle und interne Voraussetzungen für das digitale Klassenzimmer
Während an wenigen schulischen Einrichtungen das digitale Klassenzimmer mit WLAN- oder LAN-Anschlüssen und modernen Tablets bereits Realität ist, hängen die meisten Schulen dem Anspruch der Digitalisierung hinterher. Oft sind nötige Präsentationsgeräte wie Beamer und Notebooks noch gar nicht vorhanden und ein leistungsfähiges WLAN nicht installiert.
Dass an der Digitalisierung der Schulen kein Weg vorbeiführt, ist mittlerweile in Politik und auch bei Lehrern und Eltern angekommen. Die Voraussetzung für das digitale Klassenzimmer lässt sich auf eine einfache Formel runterbrechen: In jedem Unterrichtsraum muss mit digitalen Medien genauso wie mit einem Schulbuch gearbeitet werden können. Die Weiterbildung vor allem älterer Lehrkräfte um sie im Umgang mit digitalen Medien fit zu machen ist ein zusätzlicher Faktor. Interne oder außerschulische Fortbildungsmaßnahmen müssen dazu angeboten und eine Basis zur Rechtssicherheit bei der Auswahl und Nutzung digitaler Inhalte gelegt werden.
Die Zukunft ist digital
Um diesen Anspruch umzusetzen ist natürlich ein gewisser finanzieller Rahmen nötig und auch die laufenden Kosten sind dabei nicht zu unterschätzen. Neben der Bereitstellung der Hardware, Software und Infrastruktur braucht es zusätzliche Stellen für entsprechende Spezialisten, welche Wartung, Installation und softwaregesteuerte Prozesse übernehmen.
Trotz einiger Zusagen aus der Politik, etwa bis 2018 alle Schulen mit WLAN auszustatten, stehen für die aufgeführten Punkte offiziell keine zeitlichen und finanziellen Ressourcen bereit. Wenn das deutsche Bildungssystem nicht den Anschluss an seine europäischen Nachbarn verpassen möchte, müssen schleunigst Fakten durch Umdenken geschaffen werden. Die politische Antwort auf die fortschreitende Digitalisierung darf nicht nur ein WLAN-Anschluss bis 2018 sein, nein es sollte der Anfang einer neuen Agenda – und Zukunft für die heranwachsende Generation sein.
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