Achtsamkeit für Kinder: fünf alltagstaugliche Achtsamkeitsübungen

Über die Achtsamkeit

Achtsamkeit für Kinder ist auf dem Vormarsch. Immer mehr Schulen wenden sich Alternativen zu, wenn es um das Stressmanagement der Schüler, die Lernbelastung oder Überforderung geht – eine dieser Alternativen ist die Achtsamkeitspraxis. Entnommen aus der yogischen und Meditationspraxis fernöstlicher Traditionen hat sie sich in der „Erwachsenenwelt“ längst in allen Berufs- und Gesellschaftsschichten etabliert.

Erstmals etablierte der US-Amerikanische Arzt Jon Kabat-Zinn seit 1979 ein Achtsamkeits-Programm für seine Patienten, das MBSR, das heute weltweit bekannt ist. Hierbei reduzierte er die spirituellen Aspekte der Meditation und betonte die rein körperlichen Techniken. Seit den 90er Jahren ist Achtsamkeit in der westlichen Welt auf dem Vormarsch – nicht nur in der Medizin, der Reha-Therapie und der Coachingszene, sondern auch in der Psychologie und Psychotherapie.

Definition von Achtsamkeit

Achtsamkeit ist ein Zustand entspannter Aufmerksamkeit, in dem der Körper, die Atmung und die Gedanken ohne Bewertung und ohne Einflussnahme fokussiert beobachtet werden.

Gedankenströme oder starke Emotionen, negative Phantasien oder auch körperliche Schmerzen werden in diesem Zustand der Achtsamkeit tief wahrgenommen und in die Akzeptanz geführt, gleichzeitig erfolgt eine Distanzierung, indem man durch diese Perspektive der Beobachtende wird, und sich somit nicht mehr mit ihnen identifiziert.

Wirkungsweise

Durch die Rolle des neutralen Beobachters also kommt es zu einer Deidentifikation, die in der Folge unmittelbar aus emotionaler Not, starkem Stressempfinden oder chronischen Schmerzen herausführt. Dabei passiert etwas, was als Kern der Achtsamkeit gelten kann: Körper und Geist kommen im Jetzt an. Konzepte der Vergangenheit und der Zukunft fallen weg. Traurigkeit oder Wut über Vergangenes, Sorge oder Furcht vor Zukünftiges – sie werden wertfrei betrachtet und verblassen. Es bleibt der jetzige Zustand. Achtsamkeit ist pure Gegenwärtigkeit.

Am Anfang der Achtsamkeitspraxis führt dies während der Übung zu einer unmittelbaren Entspannung von emotionaler oder körperlicher Symptomatik. Mit zunehmender Praxiserfahrung weitet sich die positive Auswirkung auch langfristig auf das alltägliche Leben aus.

Methoden in der Achtsamkeit

Es gibt drei grundlegende Methoden, Achtsamkeit zu üben:

• Meditation
• Atemtechnik
• Yogapraxis

Sie können kombiniert werden und sowohl alleine oder auch unter Anleitung praktiziert werden. Alltagsnahe Achtsamkeit kann jedoch auch bedeuten, minutenweise mitten in der Hektik des Tages zu sich zurückzufinden, indem die Aufmerksamkeit einige Atemzüge lang auf das eigenen Innenleben gerichtet wird. Dies fährt das System kurz herunter und schon kann man mit neuer Energie weitermachen.

Wie steht es um die Achtsamkeit für Kinder?

Achtsamkeit als natürlicher Zustand

Spannend ist erst einmal die Betrachtung, dass Kinder von Natur aus achtsamer sind als Erwachsene. Sie sind detailverliebt, sie versinken in Bewegungsabläufe oder Betrachtungen, sie erspüren Stimmungen.

Der Dalai Lama sagte: „Achtsamkeit bedeutet, dass wir ganz bei unserem Tun verweilen, ohne uns ablenken zu lassen.“ Und genau diese Fähigkeit zur ungeteilten Aufmerksamkeit auf ein Tun, eine Beobachtung, eine Empfindung beherrschen Kinder besonders gut. Sie sind und spüren und leben im Jetzt. Eine Fähigkeit, die wir Erwachsene wieder lernen müssen.

Achtsamkeit Kindern erklären

Wie erklärt man Kindern Achtsamkeit? Es ist vermutlich am Einfachsten, wenn man verbalisiert, dass sie es bereits können. „Wir üben achtsam zu sein“ könnte also auch heißen: „Wir üben so zu sein, wie du eigentlich bereits bist. Wir üben, in diesem Zustand des Jetzt, der Gegenwärtigkeit, des Fokus zu bleiben, den du bereits kennst.“

Sehr eindrücklich lässt es sich erklären, wenn der Übungsleiter oder Lehrer eine Schneekugel zur Hand nimmt: Schüttelt er diese, so entsteht ein Schneesturm – dabei ist die Kugel wie unser Kopf, die Schneeflocken visualisieren unsere Gedanken. So viele Gedanken, die durcheinanderwirbeln – so fühlen sich Kinder aber auch Erwachsene täglich in ihrem Alltag. Hält man die Kugel still, so beruhigt sich der Sturm. Das schafft Achtsamkeit.

Achtsamkeit kann verlernt werden

Achtsamkeit ist bei älteren Kindern keine Selbstverständlichkeit mehr. Spätestens ab dem Grundschulalter verlernen Kinder das natürliche Vermögen, in die Achtsamkeit zu gehen. Zu sehr ist der Alltag getaktet, zu sehr sind sie durch den Schulalltag, den Stress, die Hausaufgaben, die sozialen Gefüge in Frust über das Gestern oder Angst vor dem Morgen verhaftet.

Je mehr ein Kind von seinem Umfeld herausgefordert wird, in fremde Abläufe eingebunden sowie in problematische Beziehungsgeflechte gebracht wird, desto eher verlernt es Achtsamkeit bzw. kann sie nicht mehr aufrechterhalten, da es mit seiner Aufmerksamkeit nach außen wandert, statt bei sich zu bleiben. Dies ist dann der Fall, wenn das Kind schwierige familiäre Situationen bewältigen muss oder in Kita oder Schule in einem ungünsitgen, stressigen und unruhigen Umfeld kommt.

Achtsamkeitsübungen für Kinder

Atmen

Diese Übung kann im Liegen oder im Stehen gemacht werden. Wenn das Kind steht, so vermittle ihm, dass es sich mit seinen Füßen fest in den Boden veranken kann. Liegt das Kind, so spreche von einer Verbindung des Körpers auf der Unterlage. Dies gewährt ein Gefühl von Sicherheit.

Die Anleitung lautet:

„Schließe Deine Augen. Spüre Deine Füße (oder Deinen Körper) auf dem Boden, verbinde Dich fest mit dem Boden (der Unterlage). Lasse Dir Zeit. Lege nun eine Hand auf deine Brust und eine Hand auf deinen Bauch, schließe deine Augen und atme ganz bewusst und tief von deinen Nasenlöchern, durch deinen Bauch, bis in den Boden. Atme Kraft ein. Atme nun wieder aus, atme Stress, Anspannung oder Traurigkeit aus.“

Reise durch den Körper

Bei dieser Achtsamkeitsübung für Kinder geht es um eine tiefe körperliche Erfahrung. Die Übung muss angeleitet werden. Ein Übungsleiter führt die Aufmerksamkeit der Kinder von den Fußsohlen aus über die Beine, den Bauch, den Rücken, den Armen sowie den Nacken bis zu Kopf und Gesicht. Dieser Fokus bewirkt eine tiefe Entspannung und ein starkes Gefühl von Gegenwärtigkeit.

Die Anleitung lautet:

„Lege Dich entspannt hin und schließe die Augen. Atme langsam durch die Nase aus und ein. Beobachte die Position Deines Körpers. Fühle Deine Füße, entspanne sie. Fühle Deine Unterschenkel und Deine Oberschenkel. Sie sie entspannt? Entspanne sie mit dem nächsten Atemzug. Fühle Dein Gesäß und Dein Unterrücken. Liegen sie auf dem Boden auf oder gibt es einen Hohlraum? Wie fühlt sich Dein Rücken an? Entspanne Unter- und Oberkörper, entspanne Deine Schultern. Deine Stirn darf sich entspannen, lasse Deine Wangen und Deinen Kiefer los und etntspanne den Unterkiefer, sodass die Zähne nicht mehr aufeinanderliegen. Bleibe so noch einige Atemzüge liegen. „

Spaziergang im Stillen

Ein Spaziergang mit allen Sinnen: Dabei geht es darum, ohne Wertung oder Gedanken das, was wir sehen, zu hören, zu fühlen und zu erkunden. Ein sanfter Wind auf der Hautfläche, ein Sonnestrahl zwischen den Baumkronen, der Gesang der Vögel.

Ein solcher Achtsamkeitsspaziergang für Kinder sollte ohne Sprechen vor sich gehen. Jedes Kind geht in der Nähe der anderen, aber ganz für sich, ohne Interaktion. Jede Interaktion bringt uns wieder aus dem Fokus unserer Sinne ins Energie- und Stimmungsfeld des anderen.

Diese Übung zur Achtsamkeit für Kinder ist besonders für ältere Kinder ab 12 Jahren gedacht und für kleine Gruppe von unter 10 Kindern. Es ist sinnvoll die Dauer des Achtsamkeitsspazierganges auf 10-15 Minuten zu reduzieren.

Hilfreich ist es, im Anschluss darüber zu erzählen, was das Auge gesehen, die Ohren gehört, die Haut gespürt und die Zunge geschmeckt hat.

Essmeditation

Eine beliebte und doch bei Kindern ungewöhnliche Übung ist es, achtsam zu essen. Wichtig ist es hierbei, keine übigen Mittagsgerichte zu verkosten, sondern lieber frisches Gemüse oder Obst.

Die Kinder werden angehalten, das Obst oder das Gemüse in die Hand zu nehmen und erstmals die Frucht oder das Gemüse von allen Seiten zu betrachten sowie daran zu schnuppern. Der Hinweis „Lasst euch Zeit“ ist wichtig und betont Entschleunigung und Fokus.

Erst dann ist es soweit, dass die Kinder ganz langsam hineinbeißen und kauen. Es hilft den Kindern, wenn man ihnen die Anleitung gibt, wie in Zeitlupe zu essen. Eine kleine Sanduhr kann hilfreich sein, wenn man den Kindern andeutet, dass man sehr wohl einen einzigen Bissen eine Minute lang langsam kauen kann.

Diese Übung ist auch für kleine Kinder sehr freudvoll und meist eine ungewohnte Erfahrung. Wenn möglich sollte achtsames Essen ohne Ablenkung und ohne Sprechen von sich gehen.

Hilfsmittel

Vor allem akustische Hilfsmittel sind beliebt: Klangschalen oder Windspiele begleiten die Kinder sanft in die Entspannung. Auch leise, trangende Instrumentalmusik sowie Naturgeräusche wirken bei Achtsamkeitsübungen unterstützend.

Instrumentalmusik:

• Klavierklänge oder klassische Musik (beispielsweise von Mozart)
• Instrumente, die obertonreiche Klänge erzeugen, wie Handpan, Zungentrommel, Didgeridoo, Trommel, Gong, Zimbel sowie Glockenspiel

Naturgeräusche:

• von fließenden Gewässern,
• Wellengang oder
• Regentropfen
• Waldgeräusche.

Achtsamkeit als Schulfach?

Dafür das Achtsamkeit als Wort, Begriff, Betitelung von Seminaren, Coachingsausbildungen, Berufsfokus, Therapiehilfe, Entspannungshilfe seit Jahren in aller Munde ist, widmen sich noch viel zu wenig Schulen diesem Kernprinzip von Gegenwärtigkeitserfahrung und Körper- und Geistakzeptanz.

Die Regenbogenschule in Köln-Dellbrück hat auf Initiative von Tina Richter eine Achtsamkeits AG gegründet. Darin üben Grundschulkinder nicht nur Achtsamkeit, sondern auch Selbstakzeptanz, Selbstliebe, Selbstvertrauen und einen Fokus auf sich sowie ihre Bedürfnisse und auf das, was sie sind: wunderbare Wesen, die ihr Leben gestalten können.

Auch die Berliner Adolf-Glasbrenner-Grundschule hat sich im Rahmen einer GAMMA-Fortbildung mit Achtsamkeit beschäftigt. GAMMA (Gesundheit, Achtsamkeit und Mitgefühl im menschenbezogenen Arbeiten) ist eine Achtsamkeitsfortbildung für Grundschulen. Durch Projekte versuchen die Initiatoren Achtsamkeitspraxis in den Schulalltag zu bringen, indem Meditationen, achtsame Bewegung und empathische Beziehungsgestaltung integriert werden.

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Quellen

• https://de.wikipedia.org/wiki/Achtsamkeit_(mindfulness)
• https://editionf.com/wenn-reize-schmerzhaft-werden-hochsensibilitaet-bei-kindern/
• https://www.faz.net/aktuell/stil/leib-seele/wie-kinder-von-achtsamkeit-in-der-schule-profitieren-koennen-18651827.html
• https://deutsches-schulportal.de/unterricht/10-uebungen-fuer-mehr-achtsamkeit-in-der-schule/?utm_source=+CleverReach+GmbH+%26+Co.+KG&utm_medium=email&utm_campaign=Newsletter+KW+26%2F2023&utm_content=Mailing_14543024
• https://www.superheldenkids.de/blog/achtsamkeit-bei-kindern-staerken/
• https://zeitfuerheldinnen.de/was-ist-achtsamkeit/?gclid=EAIaIQobChMIkavGqJn8_wIV5gsGAB16hAu0EAAYAiAAEgLACPD_BwE
• https://www.sonntagskinder.shop/achtsamkeit-fuer-kinder/
• https://kidster.ch/2021/06/18/so-wichtig-ist-achtsamkeit-fur-kinder/
• https://www.mehr-im-jetzt.de/achtsamkeit-fuer-kinder-kindern-das-prinzip-achtsamkeit-spielerisch-erklaeren/
• https://gutenachtsonnenschein.de/was-ist-achtsamkeit-fuer-kinder/
• https://ave-institut.de/projekt-achtsamkeit-an-berliner-grundschule/
• https://www.youtube.com/watch?v=oi9Ky6C3ZAs
• https://zebrafanclub.de/mindfulness-achtsamkeitstraining-in-der-grundschule/