Über die Basis des adaptiven Unterrichts
Definition des adaptiven Unterrichts
Adaptiver Unterricht ist, wie bereits der Name andeutet, eine Form „angepassten“ Unterrichts, dessen Rahmenkonzepte seit den 70er Jahren bestehen. Dieses Lernkonzept berücksichtigt individuell variierende Ausgangslagen und ermöglicht einen produktiven Umgang mit Heterogenität im Wissensstand und in den Lernfähigkeiten der Schüler während des Unterrichts.
Adaptiver Unterricht hat als Grundlage eine Form des individualisierten Lernens. Diese Unterrichtsform stellt also ein Lernkonzept dar, bei dem jeder Schüler individuell gefördert wird.
Dabei orientiert sich die Lehrkraft stark an den persönlichen Bedürfnissen und dem Lernstand der einzelnen Schüler. Der Lehrer arbeitet dementsprechend nicht mit einem vorgegebenen Lernmaterial oder Lerntempo, die am Durchschnitt orientiert sind, sondern mit einer Fülle an Materialien unterschiedlicher Schwerpunkte und Schwierigkeitsstufen.
Verortung adaptiver Unterrichtsformen
Adaptiver Unterricht gehört zum adaptiven Bildungssystem – dieses ist in seinem Konzept dem selektiven Unterrichtssystem maximal entgegengesetzt.
Während im selektiven Unterricht die Schüler anhand ihrer Fähigkeiten für gewisse Schulen und Schulsysteme zugelassen oder abgelehnt werden, die Schülerauswahl sich also am Unterrichtsniveau orientiert, passt sich der adaptive Unterricht inhaltlich und methodisch dem Lern- und Wissensstand der Lernenden an.
Voraussetzungen für den adaptiven Unterricht
Doch welche Unterrichtsmerkmale und -bedingungen ermöglichen den erfolgreichen adaptiven Unterricht? Neulich hat das Forschungsprojekt „Adaptivität und Unterrichtsqualität im individualisierten Unterricht“ diese Merkmale herausgearbeitet:
- ständige Selbstevaluation des Handelns der Lehrkraft
- regelmäßige Lernstandserhebung bei den Schülern
- enger Schüler-Lehrer-Austausch
- individuelle Lernmaterialien
- gestaffelter Schwierigkeitsgrad bei den Materialien
- individualisierte Lernsettings
- zielerreichendes Lernen als Basis
Lehrkompetenz
Fast jedes Lehrkonzept steht und fällt mit den Fertigkeiten, dem Engagement und der Kapazität der Lehrkraft. Doch welche Kompetenzen und Kapazitäten benötigen die Lehrkräfte im Speziellen, um adaptiven Unterricht zu verwirklichen?
In der Fachliteratur werden die als nötig erachteten Fähigkeiten in vier Bereichen unterteilt:
- Sachkompetenz: damit ist ein solides Sachwissen gemeint, das flexibel zur Anwendung kommen kann.
- Diagnostische Kompetenz: anhand der die Lernstände und die eventuellen Lernschwächen der Schüler erfasst werden.
- Didaktische Kompetenz: umfasst die gezielte Anwendung methodisch-didaktischer Verfahren.
- Klassenführungskompetenz: für den Umgang mit Störungen, der Förderung der Motivation und der Lerndynamik innerhalb des Klassenverbandes.
Es gibt hierbei zwei Ebenen, auf denen Lehrer einwirken können:
Die Makro-Ebene: Dazu gehören Inhalte, Methoden, Materialien und Lernzeiten.
Die Mikro-Ebene: Diese beschreibt die Interaktion zwischen Lehrer und Schüler, die auf Lernstandserhebungen, Vertrauen und enger Kommunikation beruht.
Ein Potpourri an Kompetenzen, die nicht singulär stehen und wirken können, sondern nur in ihrer Bündelung adaptive Lernkonzepte ermöglichen.
Diese Anforderungen deuten nicht nur auf Herausforderungen im adaptiven Unterricht hin, sondern verweisen auch auf die elementare Bedeutung der Lehrerbildung.
Umsetzung in der Praxis
Wie wird letztlich der adaptive Unterricht in der Praxis umgesetzt? Wie wird der Heterogenität Rechnung getragen?
Günstige Lernvoraussetzungen schaffen
Der Lehrer ist angehalten, die Gruppendynamik und das Verhalten der einzelnen Schüler zu beobachten. Gruppenaktivitäten und Kennenlernspiele können durchaus den Zusammenhalt innerhalb der Lerngemeinschaft stärken. Ausreichend Pausenzeiten, Exkursionen und die Einbeziehung von außerschulischen Lernorten geben den Auftakt in ein entspanntes Lernklima.
Außerschulische Lernorte
Lernorte außerhalb des Schulgebäudes: alternative Lernorte für Sachunterricht, Fremdsprache oder Kunst
Binnendifferenzierung bei unterschiedlichen Lernständen
Immer wieder treffen Lehrer innerhalb einer Klasse auf stark schwankende Lernstände. Während in selektiven Schulsystemen jene Schüler, die davon abweichen, durch die Benotung über Kurz oder Lang in solchen Systemen wechseln, die ihrem Lernstand entsprechen, versucht der adaptive Unterricht den unterschiedlichsten Lernständen auf individuelle Art und Weise gerecht zu werden.
In der „inneren Differenzierung“ oder Binnendifferenzierung arbeiten Schüler mit ähnlichem Leistungsstand zusammen.
Fehlende Lernvoraussetzungen werden dabei entweder kurzfristig und direkt gefördert – oder aber sie werden zuerst umgangen und geben anderen Themen Platz. Lehrer und Schüler bearbeiten diese „Problemfelder“ im Anschluss koordiniert – zeitversetzt oder auf alternativen Lernwegen.
Umgang mit Fehlern
Machen Schüler Fehler im Unterricht, geben falsche Antworten oder wiederholen bestimmte Fehler regelmäßig, so wird der Lehrer im adaptiven Unterricht diese Fehler nicht abstrafen. Vielmehr wird er im Zuge einer Fehlerermutigungsdidaktik versuchen, Fragen zu beantworten wie diese:
- Worauf begründet sich der Fehler, welches Wissen fehlt konkret?
- Wiederholt sich der Fehler, hinkt der Schüler hinterher?
- Oder begründet sich der Fehler auf Unaufmerksamkeit und warum kommt es dazu?
- Welches Grundlagenwissen sollte der Schüler bald nachholen? u.a.
Fehler werden enttabuisiert, indem Lehrer und Schüler sie als Weg verstehen, Lernlücken zu erkennen. Die Lehrkräfte benennen Fehler ohne Wertung, besprechen sie gemeinsam mit der Klasse, ermuntern die Schüler zum Dialog.
Mit adaptiven Zielsetzungen arbeiten
Die Zielsetzung ist im gleichen Maße adaptiv wie das Gesamtkonzept. Die Auswahl der Lernziele ist verbunden am Vorwissen der einzelnen Schüler – sowohl was das Fachwissen als auch was die Lernkompetenzen betrifft.
Das Lernen bis zur Erreichung der Zielsetzung ist dabei geprägt von einer tiefen Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen. Dabei wird immer individuell vorgegangen.
Anschließend erfolgt eine ausführliche Lernstandserhebung. Diese ist unerlässlich, denn sie legt wiederum die hiernach folgende Zielsetzung fest.
Lernunterstützung und Rückmeldung
Im adaptiven Unterricht gehört es zu den Grundlagen, die lernunterstützenden Maßnahmen und Prozesse eng mit den Schülern zu besprechen. Nur gemeinsam beschlossene Lernschritte werden von heterogenen Klassen gut angenommen und meist auch selbständig angegangen.
Innerhalb des adaptiven Unterrichtes ist die Rückmeldung der Schüler und der Lehrer auf die jeweiligen Ansätze des anderen ein wichtiges Kriterium gelingenden Unterrichtes.
Herausforderungen
Empirische Studien zeigen, dass sich adaptiver Unterricht in der Praxis mit mittlerem bis großem Aufwand umsetzen lässt. Dies begründet sich vor Allem auf die hohen Anforderungen an das didaktische Können der Lehrkräfte.
Eine der größten Herausforderung besteht darin, die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schüler regelmäßig, zeitnah und themenspezifisch differenziert zu erfassen und die Unterrichtsgestaltung auf die individuellen Bedürfnisse abzustimmen. Diese Hürden stellen sich also vor allem für die Lehrkräfte als durchaus herausfordernd dar.
Ungeachtet dessen arbeiten immer mehr Schulen mit adaptivem Unterricht, da großer Bedarf nach genau dieser individuellen Lernform besteht. Die steigende Heterogenität in der Zusammensetzung der Klassen aufgrund von jahrgangsgemischten Gruppen, der Inklusionsbestrebungen, der Integration fremdsprachiger Kinder und dem wachsenden Fokus auf sozialschwache Schüler und solche mit Lernbeeinträchtigungen erfordert hochgradig individuelle Herangehensweisen, die der adaptive Unterricht bietet.
Bildquellen
- Pexels @ Olia Danilevich, @ Tima Miroshnichenko
- Pixabay @ Gerd Altmann, @ Steve Buissinne
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Quellen
- https://de.wikipedia.org/wiki/Adaptives_Lernen
- Wember, Franz B.: Adaptiver Unterricht. In: Sonderpädagogik, 31 (2001) 3, S. 161-181.
- Beck et al.: Adaptive Lehrkompetenz. Analyse und Struktur, Veränderbarkeit und Wirkung handlungssteuernden Lehrerwissens. In: Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie, Bd. 63, (2008). Münster: Waxmann.
- Hardy, I. u.a.: Adaptive Lerngelegenheiten in der Grundschule. Merkmale, methodisch-didaktische Schwerpunktsetzungen und erforderliche Lehrerkompetenzen. Zeitschrift für Pädagogik 57 (2011) 6, S. 819-833. Online-Quelle: https://www.pedocs.de/volltexte/2014/8783/pdf/ZfPaed_6_2011_Hardy_et_al_Adaptive_Lerngelegenheiten.pdf
- https://pse.hu-berlin.de/de/forschung-und-lehre/projekte/fdqi-hu/Inklusionsglossar/adaptive-lehrkompetenz.pdf
- https://www.km.bayern.de/epaper/flex_grundschule/files/assets/basic-html/page56.html
- https://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/inklusion/PDFs/ZEIF-Blog/Wagner_2016_Adaptive_und_evidenzbasierte_F%C3%B6rderung.pdf
- https://www.dipf.de/de/forschung/aktuelle-projekte/ada-q-adaptivitaet-und-unterrichtsqualitaet-im-individualisierten-unterricht
- https://deutsches-schulportal.de/unterricht/zentrale-merkmale-fuer-adaptiven-unterricht-an-grundschulen/?utm_source=+CleverReach+GmbH+%26+Co.+KG&utm_medium=email&utm_campaign=Newsletter+KW+41%2F2022&utm_content=Mailing_13922572
- file:///C:/Users/user/Desktop/Downloads/PH_Luzern_OER_Bausteinheft_3_Unterricht_adaptiv_gestalten.pdf
Ein Kommentar zu “Adaptiver Unterricht”
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