Die Rolle der Schule
Ende 2021 wurde der Sprachbericht der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften veröffentlicht, der regelmäßig als Zustandsbericht für die Entwicklung von Sprache im Schulumfeld repräsentativen Wert hat. Obgleich es Sprachentwicklung allgemein in den Fokus nimmt, besagt es auch einiges über die Leseförderung in der Grundschule. In drei Kapiteln wertet der Bericht aus:
- inwieweit das Elternhaus, Lehrerinnen und Lehrer Teil des Erwerbs der Bildungssprache sind,
- wie sich die Rahmenbedingungen für die Erfassung grammatikalischer und Rechtschreibregeln aktuell gestalten und
- fasst öffentlich kontrovers diskutierte Teilfragen zusammen, beispielsweise zum Handschreiben, zur Digitalisierung des Lernens und der Rolle des Internets.
Prof. Dr. Osterkamp, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, fasst dabei die Mammut-Aufgabe der Schule in Bezug auf Sprache zusammen, wenn er schreibt, dass die „Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten […] eine zentrale Aufgabe der Schule [ist] und ihr Erfolg entscheidet mit über Lebenschancen und gesellschaftliche Teilhabe.“
Leseförderung fängt Zuhause an
Leseförderung in der Grundschule beruht jedoch anfangs auf eine der schulischen Phase vorgelagerte und gleichermaßen wichtige Basis, die unter günstigen Voraussetzungen bereits im Kleinkindalter in Kita und Elternhaus entsteht. Die Phase der ersten keimenden Neugierde auf die Buchstaben im alltäglichen Umfeld fängt damit sehr viel früher an, als mancher denkt.
Beobachtet man Kinder sehr genau, so entwickelt sich bereits um den 4. Geburtstag herum ein Verständnis dafür, dass die Buchstaben in ihrem Umfeld eine bestimmte Bedeutung haben. Zu erkennen ist dies an den Fragen nach der Leseweise unterschiedlicher Schriftzüge, die häufig im Alltag der Kinder vorkommen. Die Buchstaben auf der Milchpackung, der Schriftzug über dem Laden und die Schreibweise des eigenen Namens machen auf einmal neugierig. Eine Aneinanderreihung von Buchstaben als bedeutungstragend wahrzunehmen ist ein erster wichtiger Schritt in die Welt des Lesens und Schreibens.
Gute Kitas greifen diese natürliche und intrinsische Neugierde mit geeigneten Schreib- und Leseübungen im Rahmen der Vorschule auf. Die Montessori-Pädagogik markiert mit dem 4. Lebensjahr den Anfang des Lese- und Schreibprozesses an und begleitet im Kinderhaus mit passenden Materialien. Eltern hingegen übersehen diesen wichtigen frühen Entwicklungsschritt häufig, und jene, die Aufmerken, missverstehen diese Zeichen als erhöhte Intelligenz. Zu motorisch unbeholfen, emotional und sprachlich unreif wirkt ein Großteil der Kinder mit 4 Jahren, als dass diese sehr komplexe Fähigkeit ihnen als normaler Entwicklungsschritt zugetraut wird.
Daher ist es sehr wichtig, die Anzeichen und Bedeutung dieser Phase zu erkennen und Methoden zu lernen, um die Lesekompetenz Zuhause und in Einrichtungen frühzeitig und altersgemäß zu fördern.
Was ist Lesekompetenz?
Lesekompetenz ist eine Folge der Leseförderung in der Grundschule. Lesekompetenz bei Kindern umfasst das Lesen und Verstehen geschriebener Texte – Buchstaben, Wörter und schließlich ganzer Sätze und Texte. Zur Lesekompetenz in der Grundschule gehört auch, den Inhalt soweit aufzunehmen, dass die Informationen verstanden und wiedergegeben werden können, Wissen gesammelt wird und in einem zeitlich größeren Fenster wieder abrufbar wird. Zu Lesekompetenz gehört also gleichermaßen die Ausbildung der Konzentration und des Lese-Verständnisses.
Gelungene Leseförderung in der Grundschule bedeutet also eine geglückte Lesekompetenz bei Kindern in allen diesen Bereichen.
Möglichkeiten der Leseförderung in der Grundschule und Zuhause
Eine erfolgreiche Leseförderung in der Grundschule begründet sich auf eine sehr frühe, positive Leseerfahrung in der Familie. Damit die Leseförderung in der Grundschule mühelos gelingt, heißt es also: die Lesemotivation so früh wie möglich fördern. Frühkindliche Leseerfahrungen sind wichtig, doch darüber hinaus befeuern weitere wichtige Rahmenbedingungen an Ort, Zeit und Material eine günstige Entwicklung der Lesekompetenz. Welche Parameter sind also förderlich?
Frühkindliche Leseerfahrungen schaffen
Den Umgang mit den ersten Geschichten und ersten Büchern und das Vergnügen an Erzählungen und Bildern lernt ein Kind in der Regel erstmals in seinem familiären Umfeld: Es werden zum Einschlafen oder auch zwischendurch Bilderbücher geschaut und später vorgelesen oder selber gelesen. Hier werden die Grundpfeiler gelegt für eine neugierige Herangehensweise an das Medium Schrift und Buch. Nicht von Nachteil ist es, wenn das Kind auch in seinem Umfeld erlebt, dass die Erwachsenen Bücher oder Zeitungen lesen.
Wo lesen?
Zuhause ist es wichtig, kleine Leseoasen, bestimmte Leseorte, zu schaffen. Dazu gehören gut erreichbare, einsehbare und gut sortierte Bücheraufbewahrungen wie Bücherboxen oder offene Regale mit gemütlichen Sitzmöglichkeiten auf dem Boden oder dem Sofa, bequemen Kissen und eine Kuscheldecke, dazu eine augenfreundliche ausreichende Beleuchtung – schon wird der Platz zum Vorlesen und Selberlesen zum Lieblingsplatz. Lesen darf gewürdigt werden.
Auch in der Schule sind solche Leseecken auch mit kleinem Aufwand hergerichtet. Wichtig ist es, dass der Lichteinfall durch ein Fenster oder einer Lampe genug Helligkeit für ein müheloses Lesen ermöglicht, dass die Sitzgelegenheit bequem ist und vom „Trubel“ in der Klasse weggedreht. Zwei kleine Bücherregale im rechten Winkel schirmen ab und einige Bodenkissen reichen bereits, um Kindern einen Rückzugsort zu ermöglichen und zum Lesen und Bilder Betrachten einzuladen.
Wann lesen?
Wer zwischen Tür und Angel und einer Pflichtübung gleich seinem Kind vorliest, wird womöglich nicht mit aufkeimende Leselust des Kindes belohnt werden. So wie man sich bestenfalls Raum nimmt fürs Essen, Zähneputzen oder Spielen – so darf man auch die Lesezeit fest in den Tagesrhythmus einpflegen und diese Lesezeit zelebrieren oder zumindest ritualisieren.
Gleichzeitig macht es natürlich auch keinen Sinn, ein Kind bei seiner Lieblingstätigkeit zu stören, damit die Vorlesezeit eingeläutet wird. Vorlesen und selber Lesen sollte immer aus Neugierde und Freude passieren, nie aus Pflicht oder dem Wecker nach.
Damit sowohl eine feste Uhrzeit als auch ein festes Lesefenster etabliert werden, kann es von Nutzen sein, das Vorlesen an einer bewährten, bereits fest in die Tagesstruktur eingebundenen anderen Tätigkeit anzukoppeln. Vor oder nach dem Zähneputzen, nach dem Sandmännchen oder bei Einstiegsschwierigkeiten auch ein Stück weit unkonventionell während des Frühstücks, der Badezeit oder des gemeinsamen Puzzlespiels?
Wichtig ist es, dass das Kind nicht müde oder hungrig ist und dass die Lesezeit nicht mit einer gleichermaßen anspruchsvollen Tätigkeit konkurriert, andernfalls ist mit Überreizung oder Unaufmerksamkeit zu rechnen.
In der Schulklasse hat es sich bewährt, an festen Tagen eine regelmäßige Vorlesezeit einzuläuten, beispielsweise vor oder nach der großen Pause. Begrüßenswert ist es, wenn sich die Lehrkraft dafür zur Verfügung stellt – so können die Kinder zur Ruhe kommen, dürfen zuhören, ohne dass Leistung von ihnen verlangt wird, und erfahren den Genuss des fokussierten Zuhörens.
Wie lesen?
Gehen Sie mit Freude und Kreativität ans Lernen!
- Lesen Sie im Tandem mit ihrem Kind oder
- verteilen Sie Sprechrollen wie bei einem Hörspiel,
- imitieren Sie gemeinsam Geräusche,
- erzählen Sie mit Ihrem Kind über das Gelesene,
- erfinden Sie alternative Erzählstränge oder
- ein anderes Ende für die Geschichte.
Dies stärkt auch die Beziehung zum Kind, es macht Sie zu Partnern, zu Lese- und Erzählkomplizen. Diese und ähnliche Lese- und Erzählspiele haben – abgesehen vom verbindenden Spaßfaktor – eine sehr wichtige Funktion, denn sie glätten die häufig ausgeprägte „Schieflage“ zwischen dem lesekundigen Erwachsenen und dem Kind als Leseneuling.
Korrektur mit Herz
Korrigieren Sie Fehler des Kindes nur in sehr überlegter und kontrollierter Form. Fragen Sie am besten beim Kind selber nach, ob und wie es verbessert werden möchte, ob ein leiser Hinweis vielleicht ausreichend ist oder kleine Fehler einfach unkommentiert bleiben dürfen? Wählen Sie auch für größere Lesefehler eine möglichst durchweg unaufgeregte und nicht wertende Ausdrucksweise, loben Sie stattdessen viel.
Erkennen Sie hingegen eklatante und sich wiederholende Fehler, dann ist es am besten, wenn sie kommentarlos für das nächste Leseabenteuer ein Buch mit leichterer Lesestufe oder mit Bildern aussuchen, damit das Kind wieder rasch Leseerfolge verbuchen kann.
Methoden der Leseförderung in der Grundschule
Die effektivsten Methoden der Leseförderung in der Grundschule sind meist diejenigen, bei denen die Kinder Teil der Aktion sind. Solche Gelegenheiten bieten sich an in Form von:
- Buchvorstellungen der Lieblingsbücher
- Lesetagebücher anlegen über längere Zeiträume
- Lesenacht innerhalb der Klassenfahrt oder in einer Bibliothek
- Vorlesewettbewerbe innerhalb mehrerer Klassenstufen
- Buchsammlungen mit besonderen Büchern wie bspw. Comics anlegen
- Leseecke gemeinsam gestalten.
Es hilft, den Kindern immer wieder zu vermitteln, das Lesen können keine Veranlagung ist, sondern wie Laufen und Fahrradfahren, Schwimmen und Seilspringen gelernt werden kann – und dies Übung erfordert. Lesefaule Kinder und Kinder, die nur holprig das Lesen lernen bedingen einander. Bevor Lesen Spaß macht, muss es erst beherrscht werden. Üben Sie mit Ihren Kindern immer wieder in kleinen Einheiten. Setzen Sie Lesepaten ein, die leseschwachen Kindern vorlesen, oder eine ganze Lesepatenklasse höheren Jahrgangs, die jüngere Klassenstufen im Lesen begleiten.
Mein Kind liest nicht gerne!
Nicht wenige Eltern empfinden eine zunehmende Verzweiflung spätestens mit dem Anfang der Grundschulzeit in Anbetracht ihrer nicht oder schlecht lesenden Kinder.
Es gibt einige gute Tipps, wie man die Begeisterung fürs Lesen ohne Druck steigern kann. Einerseits ist die Frage, ob obige Impulse umgesetzt werden können, denn diese sind in der Regel eine wichtige Stütze für die ersten Schritte in die Welt als Bücherwurm.
Kinder entwickeln sich nicht linear, und ein Lesemuffel erblüht bei richtiger Lektüre unvermittelt auf. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran – lesen Sie während Ihr Kind neben Ihnen spielt, am Strand im Urlaub oder im Wartezimmer beim Arzt.
Auch wenn Sie ein Vielleser sind – scheuen Sie sich auch vor Comics, sehr schmalen Büchern oder Hörbüchern nicht! Viele Kinder ahnen schlicht noch nicht, dass diese in zwei Deckeln gepressten Buchstabenreihen Geschichten sind, die Freude machen können – Comics und Hörbücher können ein leichtfüßiger Einstieg in die Welt der Erzählungen sein.
Ganz wichtig bleibt es zuletzt auch beim großen lesekundigen Kind: Lesen Sie Ihrem Kind unabhängig von seiner Lesekompetenz weiter vor, wenn es das möchte, oder lesen Sie gemeinsam das gleiche Buch und sprechen Sie regelmäßig darüber.
Bildquellen
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Quellen
- https://de.wikipedia.org/wiki/Lesekompetenz
- https://www.mit-kindern-lernen.ch/lernen-kinder/motivieren/107-lesemotivation-foerdern
- https://grundschulverband.de/presseschau-2021-copy
- https://bildungsklick.de/schule/detail/dritter-sprachbericht-veroeffentlicht-die-sprache-in-den-schulen
- https://www.mit-kindern-lernen.ch/lernen-kinder/motivieren/107-lesemotivation-foerdern
- https://www.lesefoerderung.de/methoden
- https://biss-sprachbildung.de/pdf/biss-handreichung-durchgaengige-lesefoerderung.pdf
- https://www.biss-sprachbildung.de/verbund/systematische-lesefoerderung-in-der-grundschule-biss-lesetraining
- https://www.schilf-akademie.de/lesefoerderung-in-der-grundschule
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