Es gibt nicht das eine Aufmerksamkeits-Defizit-(Hyperaktivitäts-)Syndrom, kurz AD(H)S. Vielmehr ist sie facettenreich mit ihren unterschiedlichen Verbindungen und Ausprägungen verschiedener Auffälligkeiten. Eine reine AD(H)S ohne komorbide, das heißt ohne eine begleitende, zusätzliche Störung gehört eher zu den Ausnahmen. Dabei ist es unerheblich, ob mit oder ohne Hyperaktivität. Diese psychische Erkrankung ist die häufigste bei Kindern und Jugendlichen. Wobei Jungs 5-mal häufiger betroffen sind als Mädchen.
Bei den Mädchen fehlt häufig die Hyperaktivität. Aus diesem Grund ist es sehr wahrscheinlich, dass bei ihnen die AD(H)S öfter unerkannt bleibt. Die AD(H)S besitzt eine Prävalenz von 6 – 10%. Die beiden Extremformen des Zappelphilippes sowie des Träumers sind den meisten hinreichend bekannt. Doch dazwischen existieren verschiedene Mischformen. Eine individuelle Diagnose sowie Therapie sind daher bedeutend. Bereits jetzt sind zwischen 3 – 7% der Schulkinder betroffen.
ADHS – eine allgemeine Erklärung und Symptomatik
Mittlerweile ist die AD(H)S den meisten Menschen – zumindest vom Begriff her – bekannt. Daher möchte ich hier nur eine allgemeine und kurze Erläuterung dazu geben, was denn darunter zu verstehen ist. Bei einer ADHS handelt es sich um eine verhaltens- und emotionale Störung, deren Beginn in der Kindheit und Jugend liegt. Dabei entstehen Probleme mit:
- Der Aufmerksamkeit
- Der Impulsivität und Selbstregulation
- Und manchmal mit körperlicher Unruhe, der Hyperaktivität.
Der Höhepunkt zeigt sich in der späten Kindheit. Je nach Alter liegen die schwerpunktmäßigen Probleme meist in einem bestimmten Bereich. Dies ist bei Vorschulkindern häufig das hyperaktive-impulsive Verhalten. Im Verlauf der ADHS wird das Defizit der Aufmerksamkeit immer deutlicher und tritt dann in den Vordergrund, während die motorische Unruhe abnimmt.
Bei Erwachsenen findet man am häufigsten die Aufmerksamkeitsstörung ohne die Hyperaktivität. Bei etwa 40 – 80% der Betroffenen besteht die Störung weiterhin fort, wobei bei einem Drittel der Erwachsenen eine die immer noch beeinträchtigende Symptomatik vorliegt. Der Verlauf ist individuell sehr verschieden, da auch Umweltfaktoren Einfluss auf die ADHS haben. Folgende Probleme und Risiken lassen sich im Zusammenhang mit einer ADHS beobachten:
- Misserfolg in Schule und Beruf
- Ungeplante frühe Schwangerschaften
- Drogenkonsum
- Entwicklung weiterer psychischer Störungen
- Erhöhtes Risiko für Suizid, Unfälle, unabsichtliche Verletzungen
Deshalb erfolgt die Diagnose durch einen Facharzt oder Psychologen. Zur Diagnosestellung gehört neben der Befragung der Eltern, Lehrer und des Kindes eine gründliche Testdiagnostik, neurologische Untersuchung sowie eine Verhaltensbeobachtung. Bei der Diagnostik geht es ferner darum andere Störungen auszuschließen. Die Abgrenzung zur Autismus-Spektrum Störung gestaltet sich schwierig. Besonders sobald die Aufmerksamkeitsstörung ohne Impulsivität und Hyperaktivität auftritt und zusätzlich soziale Defizite entstehen. Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad, dem Leidensdruck, den Symptomen und Problemen und dem Alter.
Was versteht man unter komorbide Störungen?
Wie bereits anfangs erwähnt kommt eine ADHS selten allein. Komorbiditäten mit anderen Erkrankungen treten dagegen häufig auf. Doch was versteht man eigentlich unter komorbiden Störungen? Das gemeinsame Auftreten einer oder mehrerer weiterer Krankheiten mit der Grunderkrankung. Dabei lassen sich Komorbiditäten danach unterscheiden, ob ihnen gemeinsame Ursachen zugrunde liegen oder aber ob sie eher eine Folgeerkrankung der Grunderkrankung sind. Bei der Begleiterkrankung handelt es sich um ein hinzugekommenes vorliegendes, diagnostisch abgrenzbares Krankheitsbild. Weitere Verhaltensstörungen können solche möglichen Begleiterkrankungen sein. Sie hängen entweder mit der ADHS ursächlich zusammen, oder sind Folgeerkrankungen oder existieren ohne Zusammenhang nebeneinander. Speziell für die Prävention ist die Komorbidität von Bedeutung. Prävention meint Verhütung und Vorbeugung. Denn sie zeigt mögliche Risikofaktoren. Der Präventionsansatz beinhaltet die Verminderung von Risikofaktoren und die positive Veränderung psychischer Befindlichkeiten mit dem Ziel, kognitive, soziale und emotionale Kompetenzen zu stärken.
Ursachen der Entstehung einer ADHS
Welche Ursachen kommen für die Entstehung einer ADHS in Frage? Zunächst einmal existiert die Annahme, dass sowohl biologische Faktoren als auch Umwelteinflüsse als Ursache an der Entstehung einer ADHS beteiligt sind. Die Erblichkeit beträgt zwischen 70 – 80%. So kann durch die genetische Komponente und weitere Umstände eine ADHS entstehen. Die Weiterleitung von Neurotransmittern, also biologischen Botenstoffen im Gehirn, ist beeinträchtigt. Damit zeigt sich eine weitere Ursache: die neurobiologische Funktionsstörung im Gehirn. Wichtige Informationen fehlen oder werden nicht vollständig übermittelt. Da eine Heilung nicht möglich ist, sind eine frühzeitige Diagnostik, eine individuelle Therapie sowie eine verständnisvolle und informierte Umwelt für den Betroffenen wichtig. Damit wird ihm ein normales Leben ermöglicht. Interessanterweise findet sich der hyperaktive-impulsive Typ bei Jungs 5-mal häufiger. Dagegen wird der vorwiegend unaufmerksame Typ (ADS) meist erst spät diagnostiziert. Das Verhältnis von ADS zwischen Jungen und Mädchen beträgt ungefähr 2:1.
Die wesentlichen Merkmale sind die Unaufmerksamkeit, die mangelnde Impulskontrolle sowie die vermehrte Bewegungsunruhe. Diese sind dem Alter, dem Entwicklungsstand und der Intelligenz des Kindes nicht angemessen. Die Kernsymptome sind anhaltend und treten situationsübergreifend in den verschiedensten Lebensbereichen des Betroffenen auf. Je nach Ausmaß beeinträchtigen sie die psychosozialen und kognitiven Fähigkeiten.
Für erstgradige Verwandte besteht ein 5-fach erhöhtes Risiko. Weiterhin gelten als vorgeburtliche Risikofaktoren die Belastung durch Alkohol- oder Nikotinkonsum der Mutter während der Schwangerschaft. Weitere Faktoren sind eine geringes Geburtsgewicht oder ein Saustoffmangel kurz nach bzw. während der Geburt. Wahrscheinlich wirken frontale, temporale und parietale Regionen gemeinsam auf die Systeme ein, die für die Abläufe der Aufmerksamkeit und Verhaltenssteuerung wesentlich sind. Das sogenannte schwierige Temperament ist ebenfalls ein Risikofaktor. Kindliche Selbstregulationsprobleme entstehen dabei oft durch Bindungsunsicherheit und unangemessenes elterliches Verhalten.
Welche komorbiden Störungen treten häufig im Zusammenhang mit einer AD(H)S auf?
Etwa 75% der Betroffenen weisen eine weitere psychische Störung auf. 60% sogar mehrere Begleiterkrankungen. Zu diesen gehören:
- Störungen des Sozialverhaltens
- Affektive, depressive Störungen
- Angststörungen
- Umschriebene Lernstörungen
- Zwangsstörungen
- LRS (Lese-Rechtschreibschwäche)
- Entwicklungsstörungen
- Bindungsstörungen
Entwicklungsstörungen aus der Nähe betrachtet
Entwicklungsstörungen können beispielsweise die Motorik, die Sprache oder die visuelle Wahrnehmung betreffen. Dazu gehören auch schulische Leistungsschwächen, die auf eine Lese-Rechtschreib- und/ oder Rechenschwäche hindeuten. Weiterhin entstehen Beeinträchtigungen in den sozialen Beziehungen zu sowohl Mitgliedern der Familie als auch zu Erziehern oder Lehrern und anderen. Diese werden unter dem Begriff Bindungsstörung zusammengefasst. Aggressivität zählt zu den Störungen des Sozialverhaltens. Weiterhin treten depressive Störungen oder ein negatives Selbstbild auf. Bei den Angststörungen sind es vor allem Leistungsängste.
Es gibt verschiedene Entwicklungsstörungen. Dabei sind Jungen häufiger davon betroffen als Mädchen. Kinder mit Entwicklungsstörungen machen zwar Lernfortschritte, dennoch geschieht dies langsamer als bei gesunden Kindern. Zu den umschriebenen Entwicklungsstörungen zählen:
- Umschriebene Störungen des Sprechens und der Sprache
- Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten
- Umschriebene Störungen motorischer Funktionen
- Kombinierte umschriebene Entwicklungsstörungen
Bei den Störungen der Sprache ist das Bedürfnis nach Kommunikation zwar altersgemäß entwickelt, jedoch nicht die Fähigkeiten der Sprache und des Sprechens. Die Symptomatik ist in Abhängigkeit vom Alter unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Bedeutung bezieht sich auf die langfristigen Folgen. Auffälligkeiten der Sprache können bis ins Jugend- und Erwachsenenalter bestehen. Bei etwa 70-80% der Betroffenen lagen Sprachstörungen bereits im Vorschulalter vor.
Überblick der Lese-Rechtschreibstörung
Die Lese-Rechtschreibstörung (im folgenden LRS genannt) ist im ICD-10 neben der isolierten Rechtschreibstörung und Rechenstörung bei den umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten angesiedelt. Bei der LRS liegt eine Störung der Entwicklung der Lesefähigkeit, und in dem Zusammenhang ebenso der Rechtschreibfähigkeit, vor. Als Ursache ausgeschlossen sind dabei: eine verminderte Intelligenz, unzureichende Lernbedingungen, unkorrigierte Seh- und Hörstörungen, neurologische Defizite oder emotionale Störungen. Die Schwierigkeiten bestehen bereits beim Erlernen des ABCs. Zudem treten sehr viele Fehler beim Lesen auf, wodurch das Verständnis des gelesenen Textes eingeschränkt ist. In der Rechtschreibung treten vergleichbare ähnliche Fehler auf. Die Probleme können bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben und sich somit auf die Persönlichkeitsentwicklung sowie der Schule und Beruf auswirken.
Entwicklungsstörung der Motorik
Eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Entwicklung der motorischen Koordinationsfähigkeit wird als umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen klassifiziert. Sie ist nicht durch eine Intelligenzminderung oder neurologische Störung erklärbar. Sie ist zudem auch nicht durch eine Seh- oder Hörstörung hervorgerufen. Die fein- als auch grobmotorischen Fähigkeiten liegen unterhalb von Gleichaltrigen.
Komorbidität mit Sprachstörungen und LRS
Da psychische Auffälligkeiten sowie die Komorbidität mit einer ADHS bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen und/ oder einer Lese-Rechtschreibstörung betrachtet wurde, soll es im Folgenden um diese beiden Störungsbilder gehen. Die Häufigkeiten von psychischen Auffälligkeiten und Sprachentwicklungsstörungen liegt bei 30-50%. Wesentlich sind die ADHS sowie eine soziale Anpassungsstörung. Oft begleitet von einer emotionalen Störung. Das Risiko eine psychische Erkrankung zu entwickeln, ist um das 4-5-fache erhöht, wenn in der Kindheit eine Sprachentwicklungsstörung vorliegt. Wobei die Prognose bei Jungen schlechter ausfällt. Im jungen Erwachsenenalter zeigt sich antisoziales Verhalten bei diesen 10-mal häufiger. Je ungewöhnlicher ausgeprägt die Sprachentwicklungsstörung, desto ungünstiger der Verlauf. Zudem zeigen einige Kinder ein autismusähnliches Verhalten. Es zeigt sich, dass die Lesefähigkeit und antisoziales Verhalten eng miteinander verbunden sind. Anhand der Lesefähigkeit kann auf spätere Verhaltensbesonderheiten geschlossen werden. Ebenso wie das antisoziale Verhalten die spätere Lesefähigkeit beeinflusst.
Die LRS und ADHS treten oft gemeinsam auf. Viele LRS-Kinder sind von einer ADHS betroffen. Ebenso wird bei Kindern mit hyperkinetischer Störung oft zusätzlich eine LRS entdeckt. Etwa ein Viertel der Jugendlichen und Erwachsenen LRSler weisen eine Störung des Sozialverhaltens bis dissoziale Verhaltensweisen auf. Weiterhin treten bei den Angststörungen überwiegend soziale Ängste auf. Komorbide Störungen bleiben über längere Zeit stabil, während auftretende Folgesymptomatik deutlich zunimmt. Bei sprachentwicklungsgestörten Kindern nehmen die Probleme zu. Bei den Angststörungen ist diese bis zum 8. Lebensjahr beobachtbar, die Sprech- und Sprachstörungen dagegen nehmen danach immer noch weiter zu. Bei den Ängsten sind es besonders die sozialen Phobien. Ähnliches gilt für LRS-Kinder. Sie zeigen vermehrte Zurückgezogenheit sowie ein geringeres prosoziales Verhalten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kinder mit umschriebenen Entwicklungsstörungen häufige Komorbiditäten mit hyperkinetischen sowie oppositionellem Verhalten aufweisen. Soziale Ängste sind dabei eher die Folge daraus. Sie erleben immer wieder Misserfolge und Stigmatisierungen, wodurch internalisierende (nach innen gerichtete) Störungen und insbesondere die sozialen Ängste zunehmen.
Bindungsstörungen und ihre Auswirkungen
Die Hauptbezugsperson gilt als wichtige Regulationshilfe. Bei einer ausgewogenen Bindungsbeziehung ist sie die sichere Basis. Sie gibt emotionale Sicherheit und bietet externe Hilfe zur Regulation. Folgende Bindungstypen im Kindesalter lassen sich unterscheiden:
- Unsicher-vermeidend
- Sicher gebunden
- Unsicher-ambivalent
- Hochunsicher-desorganisiert
Diese verändern sich bis ins Erwachsenenalter und werden wie Folgt eingeteilt:
- Sicher-autonom
- Unsicher-distanziert
- Unsicher-verwickelt
Die Basis für positive Bindungserfahrungen ist das elterliche Feingefühl. Treten gleichzeitig eine Vulnerabilität (Verletzlichkeit) mit einer negativen frühen Bindungserfahrung auf, kann eine Sensibilisierung „depressiver Bahnen“ ausgelöst werden. Über Erfahrungen reift das Gehirn. Bindungsverhalten sowie Umweltfaktoren wirken dabei ebenfalls mit. Pränatal (vorgeburtlich) auftretende mütterliche Angst und Depression wirken auf das kindliche Temperament.
Mögliche Risikofaktoren für eine ADHS sind in erster Linie genetische. Bei erstgradigen Verwandten besteht ein 5-fach höheres Risiko. Grundlegende Annahme beruht darauf, dass dopaminerge, serotonerge und noradrenerge Kreisläufe bei der Entstehung beteiligt sind. Weiterhin als Risikofaktoren gelten ein sehr niedriges Geburtsgewicht, ein Sauerstoffmangel während der Geburt (neonatale Hypoxie) sowie pränatale Alkohol- und Nikotinkonsum. Sehr wahrscheinlich wirken frontale, temporale und parietale Regionen gemeinsam auf die aufmerksamkeits- und verhaltenssteuernden Systeme. Als ein weiterer Risikofaktor gilt das schwierige Temperament. Durch Bindungsunsicherheit und unangemessenes elterliches Verhalten kommt es häufiger zu kindlichen Selbstregulationsproblemen.
Eine hochunsichere Bindung verstärkt die bindungsbezogenen Ängste des Kindes
Sichere und unsichere Bindungsstrategien gelten als normale Entwicklungsvarianten. Bei einer hochunsicheren Bindung werden die bindungsbezogenen Ängste des Kindes durch unangemessene Verhaltensweise verstärkt. Dazu zählen zurückweisende oder ängstigende Verhaltensweisen der Bezugsperson. Dabei ist sie unfähig, Verstörungen und Furcht zu beenden. Bei Kindern aus klinischen und sogenannten Hochrisikogruppen, also Kinder, die psychosozial oder entwicklungsneurologisch belastet sind, tritt die hochunsichere Bindung 2-3-mal häufiger auf. Es kommt zu einer teilweisen Überschneidung der Kernsymptomatik der ADHS mit den Symptomen von Kindern mit Bindungsstörungen. Das Risikoverhalten der ADHS-Kinder und -Jugendliche könnte damit erklärt werden. Wahrscheinlich stand die sichere Basis in Form der Bezugsperson nicht ausreichend zur Verfügung.
Bei nahezu 20% der ADHS Kinder und Jugendlichen sind besonders Komorbiditäten mit Angststörungen von Bedeutung. Insbesondere den bindungsrelevanten Aspekten bezüglich der Entstehung und Aufrechterhaltung von Ängsten kommt eine vorhersagende Bedeutung zu. Dabei gilt die hochunsichere Bindung nicht als vorhersagender Faktor für eine spätere ADHS. Fest steht, dass ein ausreichendes elterliches Feingefühl die Regulationsfähigkeit des Kindes beeinflusst. Gleichermaßen beeinflussen die erworbenen Grundüberzeugungen die Entwicklung von eigenen Bewältigungsstrategien.
Bipolare Störungen im Kindes- und Jugendalter
Die Etablierung der bipolar-II-Störung stellt eine Ergänzung zur klassischen manisch-depressiven bipolar-I-Störung dar. Sie kombiniert die Hypomanie und die Major Depression. Dies führte zur Erweiterung des bipolaren Spektrums. Darüber hinaus ebenso zur Erhöhung der Inzidenz und Prävalenz in epidemiologischen Untersuchungen. (Anmerkung: Die Epidemiologie beschäftigt sich mit der Häufigkeit einer Erkrankung in der Bevölkerung.)
Einige ADHS Kinder lassen sich durch ihre spezifische Symptomatik abgrenzen. Möglicherweise bilden sie einen eigenen bipolaren Subtyp, nämlich den sogenannten Pediatric bipolar phenotype. Die Symptome zur Unterscheidung dieses Untertyps entstammen fast gänzlich dem manischen Teil:
- Hypersexualität
- Grandiosität
- Vermindertes Schlafbedürfnis
Ein anhaltendes chronisches Krankheitsbild entsteht durch die hohe Häufigkeit und kurze Dauer der Schwankungen. Dieses weist einen großen Schweregrad auf und lässt sich phenomenologisch nicht mehr mit den klassischen bipolaren Störungen vergleichen.
Eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2007 (Practice Parameter) vertritt folgende Annahmen: Im Jugendalter gibt es Frühmanifestationen bipolarer Störungen. Diese entsprechen weitgehend den Kriterien der Erwachsenen. Weiterhin besteht über die eigenständige bipolare Störung im Kindesalter keine Einigkeit, weder was Diagnose, Prognose noch Therapie betrifft. Wie ADHS und bipolare Störungen zusammenhängen ist noch ungeklärt. Die Prävalenz mit 1% ist sehr gering. Bei der ADHS gibt es schwere Ausprägungen, die noch ungenügend klassifiziert sind. Zudem werden sie je nach Kontinent unterschiedlich eingeordnet. Die Nähe zum bipolaren Spektrum ist vorhanden, jedoch bisher nicht zweifelsfrei belegt.
Zu den alterstypischen Besonderheiten von bipolaren Störungen im Jugendalter zählen:
- Klare diagnostische Abgrenzung zu den alterstypischen „physiologischen, pubertären“ Schwankungen
- Häufiges rapid cycling mit den
Untergruppen:
- Rapid Cycling mit vier Episoden pro Jahr
- Ultrarapid cycling mit vier Episoden im Monat
- Ultradian cycling mit mehrfachen täglichen Episoden
- Mixed states: manisch-hypomane und depressive Symptome treten entweder gemischt oder im raschen Wechsel auf
- Untypische Bilder mit einer Störung des emotionalen Erlebens (Dysphorie), Irritierbarkeit sowie störendem Sozialverhalten
Im Erwachsenenalter halten manische oder depressive Episoden meist Wochen oder Monate an. Eine Unterbrechung erfolgt in Intervallen. Diese sind geprägt von weitgehender Erholung (Remission). Bei Erwachsenen kommt das rapid cycling ebenso vor, also kürzere Phasen mit einem schnellen Wechsel. Es wird angenommen, dass das rapid cycling im Jugendalter häufiger auftritt. Eine andere Annahme geht davon aus, dass die Remission geringer ausfällt und es deshalb öfter zu chronischen Krankheitsverläufen kommt.
Für die Patienten sind die Phasen mit den gemischten manisch-depressiven Zuständen von Unruhe geprägt. Ebenso für deren Umwelt. Sie weisen Ähnlichkeiten mit hyperkinetischen Zuständen auf. Die Jugendlichen sprechen nicht auf die bei ADHS typisch verschriebenen Medikamente, wie beispielsweise Methylphenidat an. Erst bei genauer Beobachtung kann die Phasenhaftigkeit erkannt werden. Selbst wenn die charakteristischen Merkmale fehlen, so kann die Kombination der kurzen Phasen, schneller Wechsel der Phasen und die gemischten Zustände eher zu einem chronischen klinischen Bild führen. Dieses ist dann mit erheblichen psychosozialen Einschränkungen verbunden. Eine geregelte Schullaufbahn oder Ausbildung ist so nicht möglich. Deshalb ist eine bipolare Störung bei Jugendlichen eine ernste Prognose. Sie brauchen eine langfristige, intensive, sozialpsychiatrische sowie medikamentöse Begleitung, um frühzeitiger Invalidisierung entgegenzuwirken.
Therapie einer bipolaren Störung
Die Therapie der bipolaren Störung unterscheidet sich wesentlich von der einer ADHS. In der Langzeitmedikation werden überwiegend Medikamente eingesetzt, die stimmungsstabilisierend wirken. Dagegen kommen in der Akutbehandlung Neuroleptika neuerer Art zum Einsatz. Bei der ADHS sind Krankheitseinsicht, Kooperation, regelmäßige Medikamenteneinnahme und Teilnahme an psychotherapeutischen Maßnahmen schon nicht besonders hoch. Bei den bipolaren Patienten sind diese noch einmal geringer ausgeprägt. Deshalb kommt besonders die multimodale Behandlung unter Einbezug medikamentöser Ansätze bei beiden Krankheitsbildern in Betracht. Durch die zuvor angeführten Gründe sind sie meist nicht komplett umsetzbar. Zudem gibt es eine weitere Einschränkung. Die Mehrheit der Medikamente hat noch keine Zulassung bei Kindern. Daher werden sie nur „off label“ eingesetzt. Das heißt, nur mit Zustimmung der Sorgeberechtigten.
KISS- und KIDD-Syndrom
Zunächst sind es motorische Symptome, die die Eltern beobachten. Eine Ungeschicklichkeit bei fein- sowie grobmotorischen Aktivitäten, ein fehlendes Gefühl für die eigene Motorik oder den spartanischen Bewegungsantrieb bei dem primär aufmerksamkeitsgestörten Typ des ADHS. Der Begriff KISS steht für „kopfgelenkinduzierte Symmetriestörung“. Die Hauptmerkmale des KISS-Syndroms sind: eine spontane Kopfstellung in Seitneige und/ oder Rotation sowie die Beckenauslenkung zur selben Seite. Im Säuglingsalter fallen weitere Symptome auf:
- Seitenbetonter Haarabrieb (occipital)
- Leichte Schädelformation durch die Vorzugshaltung auch beim Schlafen
- Einseitige Stillprobleme, da die Kinder den Kopf zur gestörten Seite ungern drehen
Treten dann mit ihnen zusammen im Schulalter Lern- und Verhaltensstörungen auf, werden sie als KIDD-Syndrom bezeichnet. KIDD steht dabei für „kopfgelenkinduzierte Dysgnosie/ Dyspraxie“.
Das KIDD-Syndrom als Folge eines unbehandelten KISS-Syndroms
Bei der Dysgnosie handelt es sich um eine Störung des Formerkennungsvermögens und bei der Dyspraxie um motorische Ungeschicklichkeit. Somit gesehen ist das KIDD-Syndrom die Folge eines unbehandelten KISS-Syndroms. Das KISS-Syndrom führt zu einer verzögerten motorischen Entwicklung und zu Störungen der Konzentration und Wahrnehmung. Später in der Schule kommen die betroffenen Kinder dann nicht mit, werden von den anderen ausgegrenzt und reagieren schließlich mit Verhaltensstörungen, die bis zum hyperkinetischen Syndrom führen können. Das Verfahren der transkraniellen Magnetstimulation (kurz: TMS) stimuliert nicht-invasiv einzelne Hirnareale. Damit lassen sich zudem verschiedene Aspekte der motorischen Steuerung messen. Bei Kindern mit ADHS sind Prozesse der Handlungsfolge im Motorcortex gestört. Dies zeigt sich in der gestörten Motorik der ADHS Kinder. Die Schwierigkeit besteht darin, Festzustellen, ob es sich bei der Störung der Motorik um eine Komorbidität zur ADHS handelt oder um eine Störung innerhalb der ADHS. Es wird angenommen, dass es sich bei beiden um Koinzidenzen, also zeitlich zusammentreffende unabhängige Störungsbilder.
Bei Patienten mit ADHS kommt es zu einer vermehrten allgemeinen Muskelanspannung. Diese können dann zu Blockierungen führen. Eine solche Funktionsstörung hängt nicht ursächlich mit der ADHS zusammen. Ursache ist die Muskelanspannung durch psychische Stressbedingungen. Werden die Kopfgelenke behandelt, hat dies keine Wirkung auf die ADHS-Symptomatik. Die schmerzhaften Funktionsstörungen der Kopfgelenksregion lassen sich mit manueller Therapie gut behandeln. Auch wenn die manuelle Therapie die ADHS nicht beeinflussen kann, gehört sie in ein multimodales Therapiekonzept mit eingebunden. ADHS Kinder sind gegenüber Stressoren aller Art anfällig und können diese nur gering kompensieren.
Epilepsie und der Zusammenhang mit ADHS
Oft wird der rein unaufmerksame Typus ADS übersehen. Deshalb ist es wichtig eine differenzierte Diagnostik durchzuführen und die Komorbidität zu berücksichtigen. Beides erhöht den Therapieerfolg und die Prognose der Patienten. Zwischen der Kognition und der Epilepsie besteht ein Zusammenhang. Etwa 25% der Patienten in einer Epilepsie-Sprechstunde weisen komorbid eine AD(H)S auf. Bei wegen einer ADHS sich in Behandlung befindenden Kindern haben über 7% auch eine Epilepsie. Beide Erkrankungen treten im Kindes- und Jugendalter häufig auf.
Bekannt ist, dass die von Epileptikern gezeigten Verhaltensweisen und die epileptischen Anfälle eine hirnorganische Ursache haben. Beiden kann eine genetische Ursache zugrunde liegen. Unter einer ADHS manifestieren sich meist Formen der idiopatischen Epilepsie. Häufig in Kombination mit kognitiven Störungen. Deshalb ist es von größer Bedeutung eine genaue und umfassende Diagnostik durchzuführen. Nur so lassen sich die Anteile der einzelnen Störungen an der Gesamterkrankung möglichst genau erkennen. Dies hilft die Therapie zu optimieren und auf den Patienten mit seiner individuellen Symptomatik anzupassen.
Abhängigkeit und Missbrauch von Substanzen – Sucht und Substanzabusus
Die Hyperkinetische Störung (HKS) und die ADHS werden synonym verwandt. HKS sind mit bis zu 90% mit einer oder weiteren anderen psychischen Störungen verbunden. Dies nimmt mit dem Alter zu. Die Erblichkeit beträgt dabei ca. 80%. In bestimmten Hirnregionen ist der Stoffwechsel gestört. Es existiert die Annahme, dass den Hyperkinetischen Störungen Dysfunktionen zugrunde liegen, in den Bereichen, die mit der Ausführung einer Handlung einhergehen. Auch hier ist eine multimodale Behandlung angebracht.
Ein Konsumverhalten gilt als schädlicher Gebrauch, wenn er psychische, soziale und/ oder organische Schäden zur Folge hat. Dies kann bis zum sozialen Abstieg gehen. Um von einem Abhängigkeitssyndrom sprechen zu können, müssen mindestens drei Kriterien einen Monat angehalten haben oder mehrfach innerhalb des vergangenen Jahres bestanden haben. Diagnosekriterien nach ICD-10 und DSM-IV sind:
- Wunsch oder Zwang, Substanzen oder Alkohol zu konsumieren
- Verminderte Kontrollfähigkeit über Beginn, Ende und Menge des Konsums
- Ziel, Entzugssymptome zu mildern
- Körperliches Entzugssyndrom
- Toleranzentwicklung, die zunehmend höhere Dosen erforderlich machen
- Eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit Alkohol oder der Substanz
- Andere Interessen oder Vergnügen werden mehr und mehr vernachlässigt, zugunsten des Substanzkonsums
- Anhaltender Konsum trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen
Komorbide Störungen sind weit verbreitet. Die meisten entstehen durch die Symptomatik der ADHS. Alle Subtypen treten mit hohen Komorbiditätsraten in Erscheinung. Die schwersten Ausprägungen jedoch, finden sich beim hyperaktiv-impulsiven, unaufmerksamen Mischtyp.
Beispiel Nikotin
Nikotin hat eine ähnliche Wirkung wie Stimulanzien. Zudem mindert es Angst und Stress. Es beinhaltet ein hohes Suchtpotenzial. Es steht im engen Zusammenhang zu ADHS. Bei einem exzessiven mütterlichen Nikotinkonsum während der Schwangerschaft kann später häufiger eine Manifestation einer HKS des betroffenen Kindes beobachtet werden. Gleichzeitig ist der hyperaktiv-impulsiv prädominante Typ mit jeglicher Substanzabhängigkeit verbunden. Dagegen geht der rein unaufmerksame Typ nur mit einer Nikotinabhängigkeit einher. Liegt eine ADHS vor ist die Wahrscheinlich für den Zigarettenkonsum und somit der Nikotinabhängigkeit signifikant erhöht.
Beispiel Alkohol
In niedrigen Konzentrationen wirkt Alkohol auf die Übertragungsvorgänge im Gehirn. Die körperliche und psychische Symptomatik der aktuellen Intoxikation ist abhängig von der individuellen Konstitution, den Trinkgewohnheiten und der konsumierten Alkoholmenge. ADHS Patienten entwickeln früh einen Tabak- und Alkoholkonsum. Dabei scheinen sie keine bestimmten Substanzen zu bevorzugen. Bei einer ADHS tritt nicht nur die Alkoholabhängigkeit früher ein, auch die Trinkmenge ist höher als bei Personen ohne ADHS. Zudem sind soziale Belastungen sowie die Konfrontation mit der Justiz 5-mal häufiger. Suizidales Verhalten tritt doppelt so oft auf. Des Weiteren zeigen ADHS Patienten eine erhöhte Responsivität (Ansprechbarkeit) auf Suchtmittel allgemein.
Illegale Substanzen
Psychotrope Drogen dienen zum einen der Selbstmedikation. Zum anderen ist ihr Konsum auch ein Ausdruck des für ADHS-Betroffene typische riskante Verhalten. Multiple Gebrauchsmuster sind von hoher praktischer Bedeutung. Wenn mehrere Substanzen konsumiert werden, ist eine Suchtgefahr auch bei seltenem Konsum gegeben. Konsumiert werden beispielsweise: Cannabis, Ecstasy, Kokain sowie Heroin. All diese Substanzen wirken auf das Neurotransmitter-System. Bei Personen mit einer ADHS liegt ein generell erhöhtes Risiko vor, eine Abhängigkeit zu entwickeln und Substanzmissbrauch zu begehen. Es zeigte sich, dass eine frühzeitige Therapie mit Methylphenidat im Kindesalter, das spätere Risiko eines Substanzmissbrauchs und somit eine Abhängigkeitsentwicklung senken kann.
Videospiele und Internet
Ist eine psychische Störung vorhanden, ist auch der Medienkonsum verändert. Es besteht ein bedeutender Zusammenhang zwischen der Ausprägung der ADHS-Symptome und dem Schweregrad der Internetsucht bei Kindern. Bei Kindern stehen die Spiele im Vordergrund, wenn sie das Internet nutzen. Gemäß der Sensationsgier von ADHS-Kindern sind Internetspiele in Sekundenschnelle variabel wählbar. Zudem birgt die Flucht aus der realen Welt eine hohe Suchtgefahr. Bereits die tägliche Nutzung von mehr als einer Stunde wirken sich negativ auf den sozialen und schulischen Bereich aus. ADHS Kinder sind einerseits prädestinierter für Fernseh-, Video- und Internetkonsum. Andererseits aber auch viel empfänglicher für die damit verbundenen negativen Auswirkungen. Daher kommt der Vorbildfunktion von Eltern und Geschwistern eine tragende Rolle zu.
Quellen:
- Häßler, F. (Hrsg.) (2009), Das ADHS Kaleidoskop. State oft he Art und bisher nicht beachtete Aspekte von hoher Relevanz: Bipolare Störungen – KISS-Syndrom – Epilepsie – Bindung – umschriebene Entwicklungsstörungen – Teenager-Mutterschaft – Recht und Forensik – Sucht – Jugendhilfe – Elternarbeit – adulte ADHS und Persönlichkeitsstörungen – tiergestützte Therapie – Behandlungsalternativen. Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
- https://www.menschen-mit-adhs.de
- https://www.krankenkassenzentrale.de/wiki/ads-adhs#
- https://www.kinderaerzte-im-netz.de/krankheiten/adhs-aufmerksamkeits-defizit-hyperaktivitaets-stoerung/was-ist-adhs/
- https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/kinder-jugend-psychiatrie/erkrankungen/aufmerksamkeitsdefizit-hyperaktivitaetsstoerung-adhs/was-ist-adhs/
- https://de.wikipedia.org/wiki/Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivit%C3%A4tsst%C3%B6rung
Die Datenschutzbestimmungen habe ich zur Kenntnis genommen.