Sätze wie „Das verstehst du nicht“, „Dafür bist du noch zu jung“, „Iss noch etwas, du kannst noch nicht satt sein“ sind Zeichen von Adultismus im Kindergarten und zu Hause. Sie gehören zu den noch harmloseren Ausdrucksweisen, die das Macht- und Wissensgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern spiegeln. „Solange du deine Füße unter meinem Tisch hast“ oder „Du hast hier nichts zu melden“ sind die weit toxischeren Sätze einer Erwachsenengeneration Kindern gegenüber, und obgleich sie der sogenannten schwarzen Pädagogik entstammen kommen sie noch heute in vielen Familien vor.
Adultismus
Das Schattendasein
Im Vergleich zu anderen Begriffen, die Diskriminierung bedeuten, wie etwa Rassismus oder Sexismus, steht der Audultismus weit weniger im Fokus der Aufmerksamkeit. Adultismus im Kindergarten, dem Elternhaus oder der Schule bezieht sich auf Handlungen, Ausdrucksweisen und Entscheidungen von Erwachsenen gegenüber Kindern oder Jugendlichen, die ein altersbedingtes Machtgefälle und Wissensunterschied implizieren und darauf folgend Dominanz in Entscheidungen und Lebensstrukturen durchsetzen. Diese Praktiken können von subtilen Bevormundungen bis hin zu offener Diskriminierung reichen. Sie haben oftmals tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung und das Wohlbefinden junger Menschen.
Definition
Adultismus kommt vom englischen „adult“, was „erwachsen“ heißt. Es manifestiert sich in der Annahme, dass Erwachsene aufgrund ihres Alters und ihrer damit einhergehenden Erfahrung überlegen sind. Diese Überzeugung führt zu einer Machtdynamik, in der die Bedürfnisse, Meinungen und Rechte von jüngeren Personen weniger gewichtet oder gänzlich ignoriert werden. Er ist tief in den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen unserer Gesellschaft verwurzelt und beeinflusst die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen, Ressourcen verteilt und Macht ausgeübt wird.
Historischer Kontext
Obwohl die Praktiken des Adultismus so alt sind wie die Gesellschaften selbst, ist die bewusste Auseinandersetzung mit diesem Phänomen relativ neu. Der Begriff Adultismus wurde erstmals 1978 von dem US-amerikanischen Psychologen Jack Flasher in einem Artikel der Zeitschrift „Adolescence“ eingeführt. Er bezeichnete damit ein zum Zweck der Machtausübung angelegtes strukturelles Wissens- und Erfahrungsgefälle zwischen Erwachsene und Kindern oder Jugendlichen.
Beispiele aus dem Alltag
Adultismus zeigt sich in vielfältigen Formen im täglichen Leben.
In der Kita zeigt sich diese Form des Machtgefälles:
- als starre Tagesstruktur, unabhängig von den Bedürfnissen oder Ansprüchen der Gruppe,
- in Form von strikten Reglements, die als indiskutabel dargestellt werden,
- als Belehrung oder Beschämung durch Tadeln.
Adultismus wird in der Schule sichtbar:
- in der starren Struktur des Unterrichts,
- im Entscheidungs- und Macht-Gefälle zwischen Lehrern und Schülern sowie
- im Frontalunterricht.
In Familien kommt er zum Ausdruck:
- in der Erwartungshaltung, dass Kinder gehorschen müssen oder
- der Annahme, dass Kinder nicht für sich selbst entscheiden können, weil sie die Tragweite nicht begreifen.
Adultismus kann auch in der Gesetzgebung bestehen, etwa
- in Form von Altersgrenzen, die Jugendlichen bestimmte Rechte vorenthalten (beispielsweise das Wahlrecht oder das Recht auf Privatsphäre)
- oder in Form des Jugendstrafrecht, das verminderte Strafmündigkeit bis zum 14. Lebensjahr einräumt.
Folgen des Adultismus
Die Problematik des Adultismus liegt in seinen weitreichenden Auswirkungen auf die individuelle und gesellschaftliche Entwicklung. Indem Erwachsene jungen Menschen die Fähigkeit absprechen, zu ihrem eigenen Leben und zu gesellschaftlichen Fragen sinnvoll beizutragen, werten sie ihre Meinung ab. Sie werden nicht nur in ihre Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt, sondern es werden auch ihr Selbstwertgefühl und ihre Autonomie untergraben. Langfristig kann dies zu einer Entfremdung von gesellschaftlichen Prozessen und einer Schwächung demokratischer Strukturen führen, da junge Menschen lernen, dass ihre Stimme und ihre Bedürfnisse unwichtig sind.
Gleichzeitig gibt es in nahezu jeder Gruppe von Menschen – sei es eine Firmenstruktur, eine politische Führung, eine gesellschaftliche Struktur, eine Stadt, ein Land, eine Familie – eine Art von Entscheidungshierarchie, die auf Erfahrungswerten, Alter, Abschlüssen, gesellschaftlicher Stellung usw. beruht. Wie lässt sich Adultismus dennoch vermeiden oder zumindest sichtbar machen?
Vermeidung von Adultismus
Um Adultismus im Kindergarten, Schule und Elternhaus zu vermeiden, ist es wichtig, dass sich pädagogische Fachkräfte und Eltern aktiv mit den eigenen Vorurteilen und Machtstrukturen auseinandersetzen und Ideen entwickeln, wie sie diese Art der Diskriminierung vermeiden.
Aktives Zuhören
Erwachsene sollten sich Zeit nehmen, um den Perspektiven und Meinungen von Kindern und Jugendlichen zuzuhören. Junge Menschen sind gleichwertige Gesprächsteilnehmer. Sich für ihre Sichtweisen zu öffnen, heißt, sich selbst mit den eigenen Sichtweisen, Wissen und Erfahrungen immer wieder aufs Neue in Frage zu stellen. Wiederum heißt Zuhören nicht, den Kindern immer recht machen zu wollen. Eine Meinung muss, um gewürdigt zu werden, nicht als richtig oder wahr erkannt werden. Sie kann aber wohl vorurteilsfrei angehört, akzeptiert und diskutiert werden.
Partizipation fördern
Pädagogische Fachkräfte und andere Erwachsene sollten Kindern genügend Gelegenheiten bieten, sich an Entscheidungen, die sie betreffen, zu beteiligen. Die Kinder stärken somit ihre Selbstwirksamkeit und erleben, dass ihre Meinung gehört und einbezogen wird. In jeder Situation gibt es die Möglichkeit der Mitwirkung, ohne dass Erwachsene ihre Rolle als „Leitwölfe“, wie Jasper Juul sie bezeichnete, aufgeben. Partizipation heißt dabei keinesfalls Regellosigkeit oder Chaos. Beispielsweise können
- Regeln gemeinsam aufgestellt werden,
- Ausflugsziele können zusammen abgestimmt werden,
- Aufenthaltsräume in Absprache mit den Kindern gestaltet werden etc.
Reflexion der eigenen Haltung
Erwachsene sollten ihre Annahmen über Kinder und Jugendliche konsequent hinterfragen. Häufig gelten gewisse Adjektive als untrennbar mit dem Kindsein verbunden. Kinder sind „laut“, „forsch“, „frech“, „unreif“, „unerfahren“, „vorlaut“? Spätestens hier sollten Erwachsene darauf hinarbeiten, das Wissen und die Erfahrungen der Kinder zu erkennen und zu würdigen. Kinder sind intuitiv, neugierig, entscheiden „aus dem Bauch“, erspüren Stimmungen, sind spontan und gütig. Auch wenn die Qualität des Wissens und der Erfahrungen eine andere ist – Erwachsenen dürfen sich bewusst machen, dass dieses kindliche Wissen nicht weniger wert ist.
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Bildung und Sensibilisierung
Allein die Bereitschaft, sich die Existenz und Auswirkung von Adultismus deutlich vor Augen zu führen, bedeutet Öffnung und Akzeptanz. Nur durch Bewusstsein und Verständnis kann ein Umdenken stattfinden. Die Veränderung der eigenen Denk-Gewohnheiten ist nicht einfach, noch schwieriger jedoch die Sensibilisierung der Mitmenschen in Einrichtungen und der Familie.
Strukturelle Veränderungen
Strukturelle Veränderungen sind wohl der schwierigste Schritt, den es zu unternehmen gilt, wenn es um die Überwindung von Adultismus geht. Die Rechte und die Beteiligung von jungen Menschen in allen Bereichen der Gesellschaft sind nicht selbstverständlich, sondern das Machtgefälle macht grundlegende Strukturen erst aus. Ein Beispiel dafür ist das starre, veraltete Schulsystem. Eine Modelierung des Systems gelingt aufgrund seiner immanenten Starrheit nur schwer von innen heraus, es müsste großflächig und komplett aufgelöst und ersetzt werden. Dies wiederum muss wohl eine nicht umsetzbare Utopie bleiben.
Bindungsorientierte Erziehung
Betrachtet man das Fortschreiten des bindungs- und bedürfnisorientierten Erziehungsstils der letzten Jahrzehnte in vielen Elternhäusern, so kann man feststellen, das in seinen Grundzügen das Machtgefälle möglichst vermieden wird. Dies geschieht durch Beziehung statt Erziehung, Begegnung auf Augenhöhe, respektvoller Umgang miteinander, Gleichwertigkeit der Bedürtnisse von Eltern und Kindern sowie In-Verbindung-Gehen statt Strafen oder Drohen.
Fazit
Indem pädagogisches Fachpersonal sowie Bezugspersonen Adultismus erkennen und aktiv vermeiden, können sie eine inklusive Gesellschaft ermöglichen, die den Wert und die Würde jedes Einzelnen, unabhängig vom Alter oder seinen Fähigkeiten, anerkennt.
Dies erfordert ein Umdenken auf individueller und institutioneller Ebene und die Bereitschaft, Machtstrukturen zu hinterfragen und zu verändern. Die Anerkennung und Wertschätzung der Perspektiven von Kindern und Jugendlichen ist ein entscheidender Schritt hin zu einer gerechteren und empathischeren Welt.
Bildquellen
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- Unsplash @ Markus Spiske
Quellen
- https://de.wikipedia.org/wiki/Adultismus
- https://www.vielfalt-mediathek.de/adultismus-elementarpaedagogik
- https://www.nifbe.de/images/nifbe/Infoservice/Adultismus_online.pdf
- https://situationsansatz.de/wp-content/uploads/2019/08/Ritz2013_Adultismus_Handbuch-Inklusion.pdf
- https://www.kinderbuero.at/blog/adultismus-wenn-kinder-von-erwachsenen-diskriminiert-werden-teil-1/
- https://www.drk-brandenburg.de/fileadmin/Bilder_und_Videos/Aktuell/Julia_Kreitschmann_-_Adultismus._Wirkungen_und_Folgen..pdf
- https://www.leben-und-erziehen.de/kind/erziehung-entwicklung/adultismus-saetze-15109.html
- https://www.pedocs.de/volltexte/2023/26160/pdf/Liebel_Meade_2023_Schule_ohne_Adultismus.pdf
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